: Noch exotischer als Neuguinea
■ Hohenschönhausen besteht überwiegend aus schmutziggrauen Arbeiter-Schließfächern. Ein bißchen Pastellfarbe, ausgedehnte Reitwege und natürlich McDonaldßs sollen den Stasi-Bezirk verschönern
Mary Williams Walsh, Korrespondentin der „Los Angeles Times“, beschreibt in einem Artikel den Bezirk Hohenschönhausen, der als Partnerstadt für Beverly Hills im Gespräch ist. Der hier leicht gekürzte Artikel erschien am letzten Samstag unter dem Titel „Beverly Hills' Schwesterstadt? Nicht einmal eine entfernte Cousine“.
Wenn man nordöstlich die Konrad-Wolf-Straße hinunterfährt, eine Durchgangsstraße, die nach dem Bruder des ostdeutschen Spionagechefs benannt ist, und dann die Sandinostraße überquert und rechts an der Simon-Bolivar- Straße abbiegt, dann kommt man zum Büro der Bürgermeisterin. „Das ist wirklich eine revolutionäre Nachbarschaft“, sagt der in West-Berlin geborene Taxifahrer, auf die fremden Straßenschilder starrend. In der DDR war der Name „Hohenschönhausen“ unveränderlich mit der Stasi verbunden, die berüchtigte Geheimpolizei, die besessen beobachtete und die Worte und Taten der Öffentlichkeit kontrollierte – alles, um die Ziele von Marx zu erfüllen.
Heute hat sich die Macht verschoben, aber die Straßennamen sind die gleichen geblieben. Heute müssen neue Ziele erfüllt werden. Zum Beispiel Hohenschönhausen zur Schwesterstadt von Beverly Hills in Kalifornien zu machen. „Es könnte sehr aufregend sein, wenn diese zwei Gemeinden miteinander kommunizieren würden“, sagt Bürgermeisterin Bärbel Grygier. „Der Osten könnte für einige Amerikaner noch exotischer als die Stämme in Neuguinea sein.“
Normalerweise schließen sich Städte zusammen, weil sie etwas gemeinsam haben, zum Beispiel eine ähnliche Bevölkerungsstruktur oder vielleicht die gleiche ökonomische Basis. Hohenschönhausen mit einer Bevölkerung von 120.000 hat nichts gemeinsam mit Beverly Hills, wo 36.000 Menschen leben. Dieser Vorort ist so weit weg von den Palmen und Privilegien von Beverly Hills, wie es ein Ort nur sein kann.
„Wie drücke ich das vorsichtig aus?“ fragt die Bürgermeisterin, die ein Bonbonglas auf ihrem Schreibtisch nicht mit Bonbons, sondern mit einer Handvoll Kondome gefüllt hat. „Es ist ein roter Bezirk.“ Mit ihren gutgeschnittenen blonden Haaren, ihrer Winterbräune, falschen auffallenden Diamant-Ohrringen paßt Grygier tatsächlich besser auf den Rodeo Drive als in die grauen Betonschluchten der sozialistischen Vorzeigestadt. Aber sogar jetzt, wo die Mauer nichts mehr als eine Erinnerung ist, ist es keine Frage, wo das Herz des Bezirks schlägt. So haben die Hohenschönhausener zusätzlich zur Wahl Grygiers einen Kommunisten nach Bonn als ihren parlamentarischen Repräsentanten geschickt. „Natürlich gibt es nicht viele Partnerstädte, die mit einer Stadt kooperieren wollen, die von einer Mehrheit wie der unsrigen regiert wird“, gibt Grygier zu.
„Doch wir sind ein junger Bezirk“, sagt sie. „Ein Drittel unserer Bevölkerung ist unter 20. Ich kann mir vorstellen, daß diese Kinder gerne sehen würden, wie Menschen in Beverly Hills leben. Unterschiedliche Lebensstile. Unterschiedliche Werte.“ Aber trotz des Enthusiasmus scheint Beverly Hills noch nichts über Grygiers Projekt zu wissen.
Hohenschönhausen wurde Mitte der 80er Jahre als Satellitenstadt aufgebaut, auf Weideland am Rande der Stadt. Die Planer wollten gleiche und politisch korrekte Häuser für eine große Anzahl von Arbeitern. Stil, Charme und architektonische Details wurden als bourgeoise Dekadenz verachtet. Das Resultat: Block für Block funktionale viereckige Apartmenthäuser mit flachen Dächern. Die Farbauswahl der Planer: ein schmutziges Grau. So trostlos, daß die Menschen die Häuser „Arbeiter-Schließfächer“ nannten. Auch Grygiers Büro ist in einem solchen Arbeiter-Schließfach – einem grauen Kasten, der von der Geheimpolizei als Logistikzentrum in den Hochzeiten der Stasi benutzt wurde, untergebracht. In der Straße liegt auch das frühere sowjetische Gefängnis, heute ein Museum.
Fairerweise muß man aber sagen, daß seit 1989 viel Farbe und Leben in den Bezirk gepustet wurde. Einige der Arbeiter- Schließfächer wurden renoviert und in freundlichen Pastellfarben gestrichen. Reitwege werden gebaut für die vielen Pferde, die noch aus den Tagen übriggeblieben sind, als das Gebiet noch Farmland war. Es gibt außerdem ein großes Einkaufscenter, ein McDonald's und eine Coca-Cola-Fabrik. „Das kann man nicht mit Beverly Hills vergleichen, aber die Menschen versuchen, so hübsche Häuser wie in Beverly Hills zu haben“, sagt Manfred Höhne, Sprecher von Hohenschönhausen.
Grygier ist die erste, die zugibt, daß es nur ein glücklicher Zufall war, daß der rote Bezirk sich jetzt Beverly Hills annähert. Die Bürgermeister der 23 Bezirke treffen sich einmal im Monat. Und während eines Treffens im vergangenen Monat kramte die Vorsitzende in ihren Papieren, auf denen noch einige nicht bearbeitete Tagesordnungspunkte standen. „Ist jemand interessiert daran, die Schwesterstadt von...“, fing die Vorsitzende an. Grygiers Hand schoß nach oben – das junge Hohenschönhausen ist der einzige Bezirk, der keine solche Partnerstadt hat. „...Beverly Hills?“ – „Jeder lachte“, erinnert sich Grygier. „Aber ich sehe es als Herausforderung.“
Übersetzung: Julia Naumann
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