: Großer Andrang auf die EZB-Chefsessel
■ Offizielle Liste in London nennt Namen der Chefs der Europäischen Zentralbank. Widerstand aus Bonn und Paris
Berlin (taz) – Wenn heute der französische Ministerpräsident Lionel Jospin bei seinem britischen Amtskollegen Tony Blair zu Besuch ist, geht es mit Sicherheit auch um die Europäische Zentralbank (EZB). Denn wie der Guardian gestern berichtete, kursiert in London die geheime Liste über die Besetzung der sechs höchsten EZB- Posten. Großbritannien ist zwar in der ersten Euro-Runde nicht dabei, hat aber den EU-Vorsitz und damit heiße Informationen.
Dem Papier zufolge wird der heutige Chef des Europäischen Währungsinstituts (EWI), Wim Duisenberg, den Vorsitz erhalten. Im Direktorium sollen außerdem die Präsidenten der italienischen, spanischen und finnischen Nationalbank sowie Otmar Issing von der Bundesbank einen Sessel bekommen. Neben ihnen wird auf jeden Fall ein Franzose Platz nehmen – entweder der Nationalbankchef Trichet, den die Regierung in Paris als Gegenkandidaten zu Duisenberg aufgestellt hatte, oder Ex- Finanzminister Michel Sapin.
Welche Bedeutung die Liste hat, ist unklar. Denn gegen das Votum der Franzosen ist nichts zu machen. Für sie würde eine solche Besetzung eine klare Niederlage bedeuten, die sie nicht ohne Kompensation hinnehmen würden. Immer wieder hat die Regierung in Paris eine nicht näher definierte europäische Wirtschaftsregierung gefordert, die die Zentralbank kontrollieren und ihr sozialpolitische Vorgaben machen soll.
Auch in Deutschland gibt es Streit um das EZB-Direktorium: Laut Handelsblatt wollen sowohl Finanzminister Theo Waigel als auch Kanzler Helmut Kohl verhindern, daß Otmar Issing den deutschen EZB-Posten bekommt. Er hatte schließlich im vergangenen Jahr verhindert, daß Waigel die Goldreserven der Bundesbank klammheimlich neu bewerten und damit seine Haushaltslöcher stopfen konnte. Waigel will angeblich seinen Finanzsstaatssekretär Jürgen Stark entsenden. Doch den lehnt wiederum die Bundesbank ab, heißt es. aje
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen