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Nur in der Nase hat Karl Marx eine kleine Delle

1953 errichtet, 1989 gestürzt: Jetzt soll Deutschlands erstes Marx-Denkmal wieder aufgestellt werden  ■ Aus Wernigerode Gunnar Leue

Die Erinnerungen daran, wie in den Wendetagen 1989 der Kopf von Karl Marx aus dem Stadtbild von Wernigerode verschwand, gehen auseinander. Die einen sagen, er wurde zum Schutz vor Zerstörung entfernt, weil angeblich ein großer Sturm drohte. Die anderen wissen nichts von einem Sturm, sie sprechen von einer Nacht- und Nebelaktion, irgendwann im Dezember 89, in der Unbekannte die Bronzebüste von ihrem Sockel stießen. Technisch kein allzu schwerer Akt, weil die Halterung sich als ähnlich wackelig erwies wie das DDR-System insgesamt. Was vor allem daran lag, daß das Marx- Denkmal schon 1953 errichtet worden war – anläßlich des 36. Jahrestages der Oktoberrevolution und als angeblich erstes in Deutschland überhaupt.

Was auch immer in der Dezembernacht geschah, der Begründer des wissenschaftlichen Kommunismus mußte ganz offenbar seinen Kopf herhalten für jene, die sich beim 40jährigen Werkeln am Sozialismus stets auf ihn berufen hatten. Einige Stadtangestellten brachten das Wendeopfer jedoch in Sicherheit. In einer Ecke des Stadtarchivs fand der lädierte Bronzeschädel Asyl.

Nun soll er wieder an den alten Platz kommen, entschied kürzlich der Stadtrat auf Antrag der PDS- Fraktion. Eine sturzbedingte Delle in der Nase gilt es auszubessern – dann wird der Kopf am 5. Mai, dem 180. Geburtstag des Philosophen, den Wernigerödern frisch geliftet präsentiert. Die jahrelangen Bemühungen der PDS wurden erst durch die Zustimmung der SPD- Fraktion von Erfolg gekrönt. Bereits kurz nach der „Bilderstürmerei“, so PDS-Fraktionschef Dieter Kabelitz, sollte „die Anlage wieder ihrem Zweck zugeführt werden“. Der damalige CDU-Bürgermeister wäre, weil „in diesen Dingen ein Vordenker in seiner Partei“, auch dafür gewesen. Doch seiner Argumentation, daß die Zeit noch nicht reif und stets mit einer neuen Beschädigung des Denkmals zu rechnen sei, habe sich die PDS gebeugt. 1994 übernahm die SPD die Macht im Orte und mit ihr die PDS-Anfrage, was denn nun werde mit dem Denkmal. Und auch die Genossen versicherten den Genossen, daß es wieder hergerichtet werde, irgendwann.

Als die PDSler zum anstehenden Marx-Geburtstag endlich Taten anmahnten, willigten die Sozialdemokraten überraschend ein. SPD-Fraktionschef Siegfried Siegel argumentierte: „Wer abbaut, muß auch aufbauen.“ Und Oberbürgermeister Ludwig Hoffmann (SPD) findet: „Marx gehört zu unserer Kultur.“

Doch inzwischen stinkt der CDU die Idee gewaltig. Renate Goetz, Fraktionschefin im Rathaus, will jedenfalls nicht, daß „mit den Steuergeldern der Wernigeröder Bürger die PDS ihre politischen Ziele finanziert“. Für die Christdemokraten ist der Wiederaufbau des Denkmals „ein politisches Bekenntnis der Kommunisten“. Und sie erinnern daran, „daß die Marxschen Theorien, sollten sie noch so sozial formuliert gewesen sein, bisher nur Diktaturen hervorgebracht haben“.

Außerdem fiel den CDUlern ein, daß ja auch Bismark mal auf einer Wernigeröder Höh' stand, bis sein Denkmal 1955 auf SED-Geheiß gestürzt wurde. Dem müßte man also auch wieder Ehre erweisen, zumal in seinem 100. Todesjahr. Kein Problem, findet PDS- Kabelitz und sinniert, daß Bismark ja auch Erfinder mancher Sozialgesetze gewesen sei, was für die sozialstaatsverdrossenen Christdemokraten ruhig der Erinnerung wert sei. Solle der Mann doch seine Gedenktafel kriegen.

Die Debatte füllt derweil das Leserbrief-Feuilleton der Lokalzeitung. Die öffentliche Verhöhnung des revolutionären Volkswillens in jener Tatnacht 89 wird besonders von einem „Traditionsstammtisch“ gegeißelt. Aus der Erinnerung an das von den Marxschen Ideen verursachte Leid für die Menschheit erhebt er die Frage: „Werden die Ströme der Tränen jetzt zum Abwasser der Vergangenheit erklärt?“

Nicht die besten persönlichen Erinnerungen an Marx hat sogar PDS-Mann Kabelitz. Dem 50jährige Lehrer fällt auf die Frage nach seinem emotionalen Verhältnis zum großen Denker zuerst ein, daß er sich als Student bei der pflichtgemäßen Erschließung von Klassiker-Werken wie dem „Kapital“ sehr gelangweilt habe.

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