Analyse: Schwammiger Frieden
■ Bei den Nordirland-Gesprächen werden die wichtigen Konflikte vertagt
Übermorgen soll um Schlag Mitternacht der Friede in Nordirland ausbrechen. Dann läuft die Frist ab, die der frühere US-Senator George Mitchell den von ihm geleiteten Mehrparteiengesprächen gesetzt hat. Die Beteiligten haben in den vergangenen Tagen Überstunden gemacht, um einen Kompromiß zu finden. Umstritten ist, wie die neue nordirische Versammlung aussehen soll. Die Unionisten fordern eine simple Mehrheitsherrschaft, was bei den Katholiken ungute Erinnerungen auslöst, weil sie unter einem solchen System bis in die siebziger Jahre vom politischen Leben ausgeschlossen waren. Sie wollen an der Macht beteiligt sein.
Noch umstrittener sind die gesamtirischen Institutionen. Die Unionisten wittern dahinter den ersten Schritt zu einem vereinigten Irland und wollen ihnen deshalb keine Entscheidungsgewalt zugestehen. Mit einem Debattierzirkel sind aber weder die IRA-nahe Sinn Féin noch die sozialdemokratische SDLP, noch die Dubliner Regierung einverstanden. Der irische Premierminister Bertie Ahern hat deshalb seine Trumpfkarte noch im Ärmel behalten: Vorschläge für die von den Unionisten verlangte Änderung der irischen Verfassungsparagraphen, in denen Anspruch auf Nordirland erhoben wird, hat er bisher nicht vorgelegt.
Merkwürdigerweise sind dennoch fast alle optimistisch: Der britische Premier Tony Blair, seine Nordirlandministerin Marjorie Mowlam, George Mitchell und selbst Trimble und Adams glauben, innerhalb der Frist zu einer Übereinkunft zu kommen. Nur Bertie Ahern sagte, er wisse nicht, ob das zu schaffen sei.
Was am Donnerstag herauskommen wird, wenn überhaupt irgend etwas, wird an Undeutlichkeit kaum zu übertreffen sein. Die Exekutivgewalt für die gesamtirischen Institutionen wird unerwähnt bleiben, damit beide Seiten es als Sieg verkaufen können. Und was den Forderungskatalog von Sinn Féin in bezug auf Polizeireform und die politischen Gefangenen angeht, so muß sich wohl eine unabhängige Kommission damit beschäftigen. Die Unionisten werden auch eine Kommission bekommen, die die IRA zur Ausmusterung ihrer Waffen bewegen soll. So werden die meisten Konfliktpunkte einfach vertagt.
Für das Übereinkommen, sollte es denn eins geben, stehen die ersten Bewährungsproben bereits vor der Tür: Am übernächsten Wochenende muß Gerry Adams die Sache dem Fußvolk auf dem Sinn-Féin-Parteitag in Dublin verkaufen, und zu Ostern beginnt die Saison der loyalistischen Paraden, bei denen es in den vergangenen drei Jahren immer wieder zu Krawallen gekommen ist. Gleich die erste Parade soll durch die katholische Lower Ormeau Road in Belfast führen. Ralf Sotscheck, Dublin
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