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Texte, lustiger, als sie aussehen

■ Statt einer Zeitschrift für Literatur, Ökonomie und Philosophie liegen in den Kneipen nun zwei: Der „Sklaven“ hat sich gespalten

Zunächst schien da nur freudlose Bleiwüste, grau wie billiges Klopapier. Hochglanzästhetik war nie das Ding des Sklaven, der Zeitschrift für Literatur, Ökonomie und Philosophie. Gegründet wurde sie vor vier Jahren von einer Schar bewegter Dichter aus Prenzlauer Berg, die sich auf ihren geistigen Über-Opa Franz Jung beriefen, seinerzeit Romancier, Dramaturg, Ökonom, Revolutionär, Schiffsräuber und Administrator in einer russischen Metallfabrik. Wie er interessierten sie sich nicht für Literaturbeflissenheit.

Das war auch der Grund, warum Sklaven ein Versteck für lauter Texte wurde, die sich lustiger lasen, als sie aussahen. Wolfram Kempe trug in seiner T-Tag-Reihe fast monatlich Absonderlichkeiten des Alltags zusammen, schrieb über westdeutsche Insektenforscher und deren Neugier auf Nutzinsekten und Schädlinge in den neuen Bundesländern und über Kreuzberger Läden, die das wirkliche Leben verkaufen. Bert Papenfuß veröffentlichte immer wieder seine scharf nörgelnde Trümmerlyrik, und Annett Gröschner verfaßte großartige Texte, von denen vor allem die ironische Schilderung eines Tages „Auf Arbeitsamt“ haften geblieben ist.

Wirklich schade ist es trotzdem nicht, daß sich der Sklaven gespalten, daß Wolfram Kempe, Bert Papenfuß, Annett Gröschner und Andreas Hansen den Sklaven verlassen, einen eigenen Verlag gegründet und im März den Sklavenaufstand angezettelt haben. Es gibt keinen Grund für Krokodilstränen. In den einschlägigen Kneipen im Prenzlauer Berg liegen jetzt halt zwei Zeitschriften aus: Der Sklavenaufstand und der alte Sklaven, herausgegeben von Stefan Döring, Thomas Martin und den Verlegern des bisherigen Sklaven-Verlags BasisDruck, Stefan Ret und Klaus Wolfram. Denn was wäre ein politisch korrekter Sklave ohne einen Sklavenaufstand?

Der Grund für die Spaltung des Sklaven lag weniger in ästhetischen oder politischen Differenzen. Vielmehr ging es um Machtfragen. Während der BasisDruck den jetzt Aufständischen und vor allem Bert Papenfuß schon seit einiger Zeit vorwarf, die inhaltliche Ausrichtung der Zeitschrift an sich gerissen zu haben, waren die Aufständischen, die sich tatsächlich viel stärker für Autorenbeschaffung, Vertrieb und Werbung engagierten als die Verleger, mit deren Arbeit unzufrieden. Heute werfen sie den Verlegern vor, ein Besitzrecht auf den Sklaven angemeldet zu haben, weil sie den Druck der Zeitschrift finanziert hatten. Tatsächlich gipfelte der Streit in der Auseinandersetzung um den „Sklavenmarkt“, der wöchentlichen Lesereihe des Sklaven. Der hatte inzwischen Eigendynamik entwickelt und wurde sogar vom Kulturamt unterstützt.

Die Verleger von BasisDruck fühlten sich ausgeschlossen. Sich an monatlichen Produktionssitzungen zu beteiligen, lehnten sie ab. Statt dessen forderten sie eine finanzielle Beteiligung am Budget des Sklavenmarkts. Als daraufhin Ausschlußanträge auftauchten, kam es zur Spaltung.

Die Ironie dieser Geschichte will es, daß nun ausgerechnet dem freien Markt überlassen ist, wer das Rennen macht. Geht man davon aus, daß sich Literatur besser verkauft, die nicht ganz so verbissen daherkommt, wird der Sklavenaufstand siegen. Auch wenn sich bisher noch keine Autoren polarisiert haben, sind die Aufständischen nicht nur die aufgeweckteren Redakteure, sondern auch die aufgeschlosseneren Autoren.

Davon kann auch das neue blaue Gewand des alten Sklaven nicht ablenken: Hier geht es eher lustlos zu. Klaus Wolfram doziert über sein Verhältnis zur Bürgerbewegung, Stefan Döring dichtet wehmütig darüber, daß „unsere Bewegung keine Bewegung“ war. Im Sklavenaufstand dagegen wirft Papenfuß wie gewohnt auch mal einen Blick über die Mauern seiner Prenzlauer Burg: „draußen im speckgürtel albaner / strauchritter & andere werktätige / ringsum sumpf & übungsgelände“. Es gibt eine unschlagbare Bastelanleitung „How to sing the Blues“ (incl. „DDR-Fassung“), und Gröschner spinnt ihre Arbeitslosen-Erfahrungen fort, indem sie sich an den Zug der protestierenden Arbeitslosen Berlins am 5. Februar erinnert: „Der Lautsprecherwagen grüßte das Haus der Demokratie als Pfahl im Fleisch des Kapitals, nur leider vom Tode bedroht, und die letzte Mitarbeiterin des Hauses nahm vom Balkon die Grußbotschaft entgegen, indem sie wie Honecker von der Tribüne winkte.“ Susanne Messmer

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