: Ein Halleluja auf das Rad
■ Der Holländer Jan Veninga erkundet Bremens Umland vom Fahrrad aus / Nachts schläft er draußen auf dem Deich, und tags wird ihm das Treten zur Meditation
Jan Veninga, oben portraitiert von Niko Wolff, ist 30 Jahre alt, Übersetzer juristischer und technischer Texte aus dem Deutschen ins Holländische wohnt seit einem Jahr im Bremer Steintorviertel. Und fährt Fahrrad. Gen Westen, in die Heimat nach Groningen, an die Ems. Oder nach Norden einmal quer durchs Bundesland Bremen, hoch zum Wattenmeer. Der taz berichtet er, was man dazu außer einem Ersatzschlauch alles so braucht.
taz: Dein Lieblingsziel ist das Land Wursten, nördlich von Bremerhaven.
Jan Veninga: Nicht nur. Aber das ist ein sehr schönes Ziel für eine Zweitagestour. Auf dem Deich guckt man übers Meer. Die Schafe sind da und die Kühe, die sich nachts, wenn ich da liege, sanft durchs Gras bewegen. Das sind sehr vertraute Geräusche. Überhaupt ist der Deich wegen seiner Festigkeit etwas sehr Vertrauenserweckendes. Ein meditativer Ort.
Sinvoller scheint es mir, sich unten an den Deich in den Windschatten zu legen.
Nein, das geht nicht. Da ist die Feuchtigkeit zu groß. Aber die Leute lassen einen auch in Ruhe. Das Watt mit seinen Bewegungen ist ein sehr verträumtes Meer. In seinen Zyklen entsteht dieses Meditative. Ebbe und Flut sind wie Einatmen, Ausatmen, Leben und Sterben. Festhalten und Loslassen.
Die Landschaft ist ja so total leer. Sowohl zum Meer hin als auch zur Polderlandschaft auf der anderen Seite des Deiches. Das ähnelt sicher einer Gotteserfahrung: Jesus hat sich auch in die Wüste verzogen, um seine Dialoge mit dem Teufel und mit Gott zu führen.
Das Zyklische des Wattenmeers dürfte nicht unbedingt eine urchristliche Erfahrung sein.
Das kommt bei mir von den Atemübungen in der Yoga. Aber in der Bibel gibt es das. Zum Beispiel die Metapher vom Atem als einer Beseelung.
Und das Fahrradfahren? Transportiert das – außer dich selber – auch eine spezifische Erfahrung?
Ich schreibe gerade eine kleine Geschichte über eine Radtour rund um den Dollart. Da an der deutsch-holländischen Grenze, kurz, bevor sie in die Nordsee mündet, macht die Ems von Süden herkommend, hinter Leer einen weiten Bogen. Da sieht sie aus wie eine Wirbelsäule: Und das Land im Westen, das Rheiderland, hat sich eigentlich schon mit dem Rücken nach Deutschland gekehrt und orientiert sich nach Holland. Ich beschreibe in meinem Bericht, wie ich da auf der Westseite der Ems zum Dollart hochfahre, wie das Fahrradfahren allmählich in eine meditative Bewegung übergeht und wie das Tretlager langsam zur Gebetsmühle wird. Und die Dorfnamen Bingum, Jemgum, Critzum, Hatzum, Ditzum werden langsam zu nach sumpfigem Klei klingenden Mantren. Zu Poldermantren.
Im Deutschen ist die Gebetsmühle eher negativ besetzt.
Ursprünglich war sie aber was Positives. Ein Gefäß, das mit auf Papierstreifen gedruckten Gebeten gefüllt ist, und das mit einem Hebel gedreht wird. Jede Umdrehung ist wie das Hersagen eines Gebets.
Wie eine Gebetskette?
Oder eben wie Mantren. Ein Hosianna oder ein Halleluja. Ganz kurze Gebete.
Aber das Fahrradfahren hat nicht immer die Leichtigkeit eines Hosianna.
Nein, natürlich nicht. Ich habe auch schon heulend auf meinem Fahrrad gesessen, weil mir der Wind entgegenheulte und ich unbedingt noch mein Ziel erreichen wollte.
Das ist die protestantische Erfahrung des Fahrradfahrens.
Ich bin sehr protestantisch.
Wenn du aus dem Steintorviertel mit dem Fahrrad losfährst, quer durch die Stadt, durch Bremerhaven, fährst du dann erstmal sechzig Kilometer durch eng besiedeltes Land, um da oben am Wurster Watt zu landen?
Ach, das geht schon. Schön ist zum Beispiel der Weg durchs Blockland raus. Und dann immer entlang der Wümme bis zur Lesum. Das ist auch eine wunderschöne Strecke, da an der Lesum lang. Und selbst in Vegesack und Blumenthal kann man oft direkt an der Weser fahren. Wenn man dann ganz raus ist aus Bremen, kommt bald die kleine Brücke rüber zur Insel Harriersand.
Da stehen ein paar Bauernhöfe, ein klitzekleiner Weg schlängelt sich hoch, und, wo man mit Fähre rüber muß zur anderen Weserseite, da ist ein schöner Sandstrand, und es gibt einen großartigen Blick rüber zur Werft von Brake. Ein richtiger kleiner Industriehafen.
So was kann man in Bremen bestimmt gar nicht mehr sehen. Nachher fährst du dann bei Kleinensiel wieder rüber zum Ostufer der Weser. Noch geht das ja, solange die Autobahn nicht gebaut ist. Die Fahrt durch Bremerhaven muß man dann ertragen.
Was braucht man unbedingt auf den Fahrten, außer der Karte?
Nein, eine Karte braucht man nicht. Bei Tagesausflügen nehme ich immer nur einen Ersatzschlauch mit. Ich bin ein so schlechter Techniker, daß es gar keinen Sinn hat, Werkzeug mitzunehmen, und außer einem Platten kann einem ja auch kaum was passieren.
Aber ich fahre sehr gerne ohne Karte. Die Sonne reicht fast immer. Und das Fragenstellen natürlich. Bei meinem Akzent sind die Leute sehr hilfsbereit und machen jede Menge Streckenvorschläge.
Im letzten Jahr bin ich auf diese Weise von Groningen bis Bielefeld gekommen. In der zweiten Nacht habe ich hier, südlich von Bremen, am Dümmer See übernachtet. Als ich da um elf Uhr abends in strömendem Regen ankam, habe ich in der nächsten Kneipe ein Bier getrunken, und der Wirt hat mich dann von sich aus auf seinem kleinen Kajütboot übernachten lassen.
Die Menschen sind nett, da kann man sich drauf verlassen. Nur das Wagnis muß man selber eingehen. Fragen: Fritz v. Klinggräff
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