: Die natürliche Macht der schwangeren Frau
■ Eine Replik auf die von Helke Sander neu begonnene Abtreibungsdiskussion
Die Fortschritte in der Fortpflanzungsmedizin und -technologie nimmt Helke Sander in der taz vom 4./5. April zum Anlaß, „noch einmal ganz von vorne“ nachzudenken darüber, „was eigentlich Abtreibung ist, jenseits der bekannten und verfestigten Positionen“. Mit diesen sind die Positionen der Kirchen („Schutz des ungeborenen Lebens“) und Standpunkte der Linken und der Frauenbewegung („Mein Bauch gehört mir“) gemeint.
Sie sieht in den theologisch begründeten Positionen einen Anknüpfungspunkt, aber warum? Nicht weil sie eo ipso nicht in dem Jargon der Machbarkeit aufgehen können, sondern weil sie das „Drama zwischen der Frau und ihrem Fötus“ ernst nehmen im Unterschied zu den Slogans der Frauenbewegung der siebziger Jahre.
„Etwas Lebendiges wird tatsächlich vernichtet“ – aber dieses ethische Handlungsproblem scheint doch nur das Verhältnis zwischen der „konkreten“ Frau und dem sich „konkret“ in ihr entwickelnden Kind zu betreffen, ihm haftet weder etwas Verallgemeinerungsfähiges an, noch hat scheinbar der „Erzeuger“ etwas mit ihm zu tun. Denn in der Situation ungewollter Schwangerschaft hat die Frau „wirkliche Macht“, Handlungsmacht, die vom Mann nicht erworben werden kann, „jedenfalls nicht auf natürlichem Weg“.
Dieser angenommenen exklusiven Macht der Frau, Leben in sich zu vernichten –, wir verfügen ja leider nicht über empirische Studien, die den unter Umständen erheblichen Einfluß der Männer bei der Entscheidungsfindung belegen könnten – entspricht auf der anderen Seite die Annahme eines „natürlichen Kindeswunsches“, wie sie u.a. von den Kirchen als den Tugendwächtern der Nation seit Jahrhunderten unters Volk gebracht wird („Frauen sind im allgemeinen stolz auf ihre Gebärfähigkeit“). In diesem Rahmen werden die an Zahl zunehmenden kinderlosen Paare natürlich immer nur als „ungewollt kinderlose“ verstanden, denen mit künstlicher Befruchtung oder, wie anderswo, mit Leihmutterschaft geholfen werden kann.
Helke Sander bescheinigt der Frau, die den Fötus in sich vernichten läßt, eine Notwehrsituation. In dieser soll es sich um gleichwertige Rechte handeln. Die Entscheidung zum Abbruch realisiert aber das Primat eines als lebenswert vorgestellten Lebens gegenüber dem Leben überhaupt („wie leben“ vs. „ob leben“).
Der Staat, repräsentiert durch die Rechtsordnung, ist an der Fortpflanzung seiner Bürger interessiert, er kann sie aber nicht erzwingen, allenfalls Anreize schaffen, die unter den Voraussetzungen verallgemeinerter Lohnarbeit mit ihren existenziellen Unsicherheitsrisiken materiell immer unzureichend bleiben. Die neuen Fortpflanzungstechnologien können den Trend einer Polarisierung unter den Frauen im Westen weiter vorantreiben – denen, die sich im Erwerbsleben behaupten und absichtlich kinderlos oder „kinderarm“ bleiben wollen, stehen dann die Frauen gegenüber, die sich mit mehreren eigenen Kindern vom Staat alimentieren lassen oder auch aus einem privaten Markt für Leihmütter herausholen, was herauszuholen ist. Frauen, die ungeplant und ungewollt auf die „altmodische“ Art schwanger werden, sollten aber von der Allgemeinheit, deren Rechtsbewußtsein und Bedürfnissen sie mit einem erheblichen persönlichen Opfer Genüge tun, in weit höherem Maß als heute gegeben von eben dieser Allgemeinheit mit Geld entschädigt und mit Dienstleistungen entlastet werden. Hanna Kröger
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