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Ohne Pointe des Verqueren

■ Kammerphilharmonie unter ihrem zukünftigen Leiter Harding

Die Theater halten sich dran, Plattenfirmen setzen ihre Hoffnung drauf, und das Publikum liebt es ganz offenbar: das Jugendliche, die Kraftkur für dümpelnde Kultursektoren. Die E-Kunst rüstet mit Heroen aus dem Pop-Alter auf. Intendanten werden immer jünger und Dirigenten frühreifer – oder früher reif? Das juvenile Genie läßt sich jedenfalls trefflich vermarkten. Beispiel vor Ort: So gut gefüllt wie am Ostersonntag erlebt man die Bremer Glocke nur ganz selten.

Daniel Harding, der so junge wie jugendlich aussehende Taktschläger, stellte sich als künftiger (ab 10/99) Leiter der lebensaltersmäßig nicht mehr so jungen, aber anhaltend frischen Deutschen Kammerphilharmonie Bremen vor. Etwaige Erwartungen stürmischen Übermuts oder kraftmeierischen Neuerertums allerdings wurden mächtig enttäuscht: der junge Brite hat offenbar wenig übrig für die bloße Pointe des Anderen oder Queren.

Erstaunlich souverän ließ der 22jährige sich beim späten Brahmsschen Doppelkonzert für Violine und Violincello von der ausgreifenden Kombinatorik nicht zu aufgesetzten dynamischen oder klanglichen „Einfällen“hinreißen. Leicht gemacht wurde ihm die überzeugende formalistische Sicht allerdings auch durch das gewohnt kammermusikalisch strukturierende Orchester und durch zwei ganz außergewöhnliche Solisten. Die Geschwister Christian und Tanja Tetzlaff, in Ton und Phrasierung gleichermaßen kongruenz- wie kontrastfähig, wandeln emotionale Ereignisse so beherrscht in reine musikalische Form um, als sei ein Diktum des reifen Brahms für ihren Gestus maßstabgebend: „Ruhig in der Freude und ruhig im Schmerz und Kummer ist der schöne, wahrhafte Mensch.“

In ihrer Zugabe lieferten die beiden Streicher mit dem dritten Satz von Ravels Sonate eine meisterhaft spannungsgeladene Interpretation großräumiger motivischer Arbeit bei detaillierter Ausdeutung kleinster Variationsschritte.

Wenn die beschriebene Brahmssche und Hardingsche Abgeklärtheit auch manchmal viel gleichschwingenden Langmut beim Publikum erforderte, Anfangs- und Schlußstück des Abends boten reichlich opulenten klanglichen und rhythmischen Genuß. Mendelssohn Bartholdys Ouvertüre „Die Hebriden“gab das schmissige Intro für den Abend. Da konnten die Klarinetten der Kammerphilharmonie glänzen, und Satzraffinesse durfte sich unterhaltsam mit Effekt verbinden. Ohne süßliche Palette, breiten Pinsel oder verschwommene Konturen, aber mit Lust an bewegter Bilderfolge gab es abschließend Schumanns Sinfonie Nr. 1 . Auch hier kein erkennbarer persönlicher Ehrgeiz vom Pult aus, sondern Empathie fürs Werk auf der Basis des ganzen zeitgenössischen Arsenals interpretatorischer Zugänge. So wie Harding machen's nicht alle, und Harding macht's sicher nicht so wie manche es seiner „Jugend“entsprechend erwartet hätten. Rainer Beßling

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