: Crossover - auf einem Ton
■ Phil Conyngham und sein Didgeridoo im KIOTO/Lagerhaus
Weltmusik, das heißt noch immer in der Regel übereinanderschachtelt: von verschiedenen Rhythmen, Klangfarben und Melodien aus vieler Herren Länder. Von den Dissidenten der 70er Jahre bis zur Schälsick Band der Endneunziger wirkt das Ergebnis bunt wie ein Basar – oder überwürzt wie ein Döner mit Heinz-Ketchup, indischem Curry und britischer Orangenmarmelade. Im Gegensatz zu diesem Prinzip dieses Jäger-und-Sammler-Zusammenaddierens, gehorcht Steppenmensch Phillip Conyngham, Australier mit irischer Abstammung, der Methode der Extraktion. Von drum'n'bass holt er sich eine kleine Spur Rhythmus und ein wenig Klangfarbe, von der amerikanischen minimal music den Grundgedanken der verdichtenden Wiederholung und von der Musik der Aborigines sein Instrument und eine weitere Spur Rhythmik. Eine Musik der zarten homöopathischen Dosen. So wird westliche E- und U-Musik mit traditioneller Musik zu einem Konzept der meditativen Vertiefung verschweißt.
Didgeridoo solo ist nichts anderes als die Monochromie in der Malerei. Ein einziger Ton bläht sich auf zu einem reichen Kosmos – durch nichts anderes als Variieren von Tonlänge und Klangcharakter. Nur ganz selten fischt Conyngham aus dem Obertonspektrum einen zweiten Ton heraus und erzeugt so Mangelsdorffsche Mehrstimmigkeit. Ansonsten brabbelt das Didgeridoo in jandlscher Lautsprache ein meditatives Uoooo-uooooo- uooooöööaaaa oder ein fetzigeres Buagaga-buagaga. Sein Ton ist flexibel wie eine Seifenblase, die sich weitet, längt und in stets neuen Farben schillert. Nur platzen tut er nicht. Ganz sacht-allmählich verlagern sich Betonungen, Zwischennoten tauchen auf, erhalten mehr Gewicht, und plötzlich kippt der Rhythmus; ein neuer Takt steht im Raum. Das machen Steve Reich und Phil Glass nicht anders. Aber auch: „Ich habe viel gelernt von den Bela Bartok und seinen ungeraden osteuropäischen Rhythmen.“Einfachheit, aber hochreflektiert.
Überhaupt: Conynghams Beeinflussung durch die westliche Avantgarde ist „totaly“, „absolut“. Mit dem Kronos-Quartett, das Volksmusik genauso ernst nimmt wie E-Musik, fühlt er sich „in common“. Inspiriert vom Balanescu-Streichquartett plant er eine Kraftwerk-Adaptation. Aber auch zur irischen Volksmusik, zu Avantgardejazz oder zur Techno-Musik sieht er ingeheime Querverstrebungen. Tatsächlich hören sich viele Didgeridoo-Sounds ziemlich synthiemäßig an - fast ein Chamäleon. Auf CD gibts denn auch ein (täuschend) echtes Trance-House-Stück. „Dazu brauche ich kein Keyboard. Nur einen Verstärker.“
Natürlich liegt einem Parallelen-Aufspürer wie Conyngham jedes Back-to-the-roots-Denken denkbar fern. Esoterik hält er nicht nur für läppisch („boring“), sondern auch für gefährlich. Esofans sind potenzielle „ willige Helfer Hitlers . Jutta Dithfurt-Denke und Daniel Goldhagen-Begrifflichkeit – in Australien? „Es klingt schräg. Aber wir lernen in der Schule oft mehr über den Holocaust als über die Unterdrückung der Aborigines in Australien. Da ist sicher auch ein bißchen Ablenkung dabei.“Esoteriker „machen den Fehler und suchen überall ein eingebildetes Ganzes. Doch Musik ist Teil des Lebens, so natürlich und irdisch wie Spazierengehen.“
Kein Wunder, daß er „Traumpfade“-Autor Bruce Chatwin, Selbstfindungstrottel und wichtigster Vermittler von Aborigines-Kultur, für einen „großen Schuljungen“hält, dem man „bestenfalls literarische Qualitäten zuschreiben kann“. „Kein Aboriginer, der ihn ernstnimmt.“
Auch in Australien wird, so Conyngham, das Dijeridoo solistisch verwendet, und zwar meist in Verbindung mit kultischem Tanz: „Da geht es um zwei Dinge, um Jahreszeiten und um Sex. Die Zahl der Jahreszeiten unterscheidet sich von Ort zu Ort, mal sind es sieben, mal mehr.“Auch im Lagerhaus wurde getanzt. Und Conyngham ermunterte die Leute zum Saufen, Pogen und Stagediven - echt crossovermäßig. Nicht nur ein kluger Mensch, auch ein ironischer. Aber das gehört sowieso zusammen. Wie Didgeridoo und Techno. bk
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