piwik no script img

Polens Bauern fürchten die EU

Ein Viertel der arbeitsfähigen Bevölkerung lebt gegenwärtig von der Landwirtschaft. Doch mit dem EU-Beitritt werden viele kleine Höfe verschwinden  ■ Aus Nasutow Barbara Oertel

Edward Gospodarek öffnet die Stalltür. Zwei Kühe kauen gemächlich ihre Mittagsmahlzeit, in der Box daneben suhlen sich zehn Ferkel. Auf einer Holzstange sitzt ein Truthahn und macht lautstark auf sich aufmerksam, während hinterm Stall auf der Weide ein Pferd einsam seine Runden dreht. Den Hof, rund 20 Kilometer von der südostpolnischen Stadt Lublin entfernt, bewirtschaftet der 50jährige mit seiner Frau. Zu dem kleinen Anwesen gehören 10 Hektar Land. „In den 70er Jahren haben viele ihre Landwirtschaft aufgebaut und die nötigen Maschinen gekauft. Wir hatten zwar nicht viel, aber zum Leben reichte es.“

Und jetzt? „Die Bauern sind die Verlierer der Reformen“, sagt Edward Gospodarek. Für 100 Kilo Zuckerrüben bekommt er fünf Zloty (umgerechnet knapp drei Mark), für die gleiche Menge Karotten, die er an einem Privatbetrieb verkauft, 15 Zloty. Der Traktor ist 14 Jahre alt und kaum noch einsetzbar. Doch einen neuen kann sich der Kleinbauer nicht leisten. „Welche Bank gibt mir schon einen Kredit?“ Zusätzlich drücken Steuern und Zahlungen für die Rentenversicherung. Nur von der Landwirtschaft könnte das Ehepaar und mit jüngster Tochter nicht leben. Edward Gospodarek schiebt daher viermal in der Woche Nachtschichten in einem nahe gelegenen Jugendzentrum, seine Frau kümmert sich dort um die Küche. Ihren Lohn stecken beide in den Hof. „Die meisten jungen Menschen gehen weg von hier, denn hier haben sie keine Zukunft“, sagt Edward Gospodarek.

Dem für das Jahr 2003 anvisierten Beitritt seines Landes zur Europäischen Union (EU) sieht er mit gemischten Gefühlen entgegen. „Wir wissen nicht, was auf uns zukommt. Bei der großen Konkurrenz können wir unsere Produkte dann wohl überhaupt nicht mehr verkaufen.“ Und das, obwohl vieles besser und gesünder sei. „Ich verwende kaum Dünger“, sagt Edward Gospodarek. Im Vergleich zur EU verbraucht Polens Landwirtschaft nur ein Drittel der Düngermenge und ein Zehntel Pflanzenschutzmittel.

Mit seinen Ängsten steht Edward Gospodarek nicht allein da. Einer neueren Umfrage zufolge hat die Hälfte aller Landwirte Angst vor der EU-Mitgliedschaft Polens, nur 20 Prozent blicken optimistisch in die Zukunft. Die Bauern fürchten, während einer Anpassungsphase für ihre Produkte nur einen beschränkten Zugang zum EU-Markt zu erhalten. So will Brüssel verhindern, daß der Binnenmarkt mit billigen polnischen Produkten überschwemmt wird. Schätzungen zufolge müßte die EU für die Eingliederung der polnischen Landwirtschaft ansonsten 16 Milliarden Mark aufbringen.

Obwohl die Politiker in Brüssel noch um das künftige Konzept streiten und der polnische Finanzminister Leszek Balczerowicz unlängst in einem Interview mit dem Spiegel erklärte, eine EU-Agrareform sei – unabhängig von einer Mitgliedschaft Polens – überfällig, bleibt es dabei: Die Landwirtschaft ist eines der heikelsten Themen bei der Aufnahme Polens in den Club der Auserwählten.

In der polnischen Landwirtschaft werden derzeit sechs Prozent des Bruttosozialproduktes erwirtschaftet, obwohl dort 25 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung beschäftigt sind — das ist ein viermal so hoher Anteil wie in den Ländern der EU. Die durchschnittliche Größe eines polnischen Agrarbetriebes beträgt acht Hektar, im Süden sind es oft nicht mehr als vier Hektar.

Auch Experten stehen der weiteren Entwicklung pessimistisch gegenüber. „Wenn die Landwirtschaft nicht rechtzeitig modernisiert wird, bedeutet die Öffnung der Grenzen für die meisten Familienbetriebe zwangsläufig das Aus“, sagt Wladyslaw Piskorz, Chef der Expertengruppe des landwirtschaftlichen Hilfsprogrammes (Fapa), das von der EU finanziert wird. Die Städte können der Landbevölkerung, die die Dörfer verläßt, weder Arbeit noch Wohnungen anbieten. Die Bauern wissen noch nicht, daß sie am Scheideweg stehen.“

Doch obwohl noch vieles unklar ist, dämmert bereits vielen, daß einschneidende Veränderungen anstehen. „Die Kleinwirtschaften werden den Konkurrenzdruck nicht aushalten, die Bauern müssen sich zu größeren Produktionseinheiten zusammenschließen“, sagt Edward Gospodarek. Doch bis der Einsicht auch Taten folgen, ist es noch ein weiter Weg. „Die Bauern sind noch nicht fähig, solidarisch zu sein. Jeder arbeitet für sich“, sagt Wladyslaw Piskorz. „Sie wissen noch nicht, wie man zusammen kämpft. Aber eines Tages werden sie sich, genauso wie im Westen, gemeinsam für die Preise ihrer Produkte einsetzen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen