: Handel fault und kreißt zugleich
Dem vietnamesischen Handelszentrum in der Lichtenberger Rhinstraße droht jetzt der Verfall, Konflikte um Neugründungen in Hohenschönhausen und Marzahn ■ Von Marina Mai
Endzeitstimmung herrscht im vietnamesischen Großhandelszentrum in der Rhinstraße 139 in Lichtenberg. Die Betreiberfirma ICI hatte das Zentrum vor drei Jahren an das deutsch-vietnamesische Paar Buchholz & Thang vermietet, die viele kleine Verkaufskabinen an vietnamesische Textil-, Lebensmittel- und Blumenhändler weitervermieteten. Das Handelszentrum ist die Herzschlagader des vietnamesischen Lebens in Berlin. Hier beziehen die vielen vietnamesischen Straßenhändler, für die ein Marktstand oft die einzige Alternative zur Arbeitslosigkeit ist, ihre Waren. Hier treffen sie ihre Landsleute, kaufen asiatische Lebensmittel für ihre Familien. Hier haben auch die Beratungsstelle „Reistrommel“, ein vietnamesisches Kulturzentrum und ein Kinderbetreuungsprojekt ihr Domizil.
Doch der Generalmieter Buchholz & Thang hatte jahrelang Miete von den Händlern kassiert, ohne sie an den Vermieter weiterzureichen. Ihren Forderungen hatten sie mit Schließungen der Verkaufsräume durchgesetzt. Mitarbeiter von ICI hatten Karl Buchholz wegen Morddrohung angezeigt. Zwei Millionen Mark Mietschulden und Betriebskosten will die Firma ICI ihrem Geschäftsführer Rudolf Franke zufolge im Juni vor dem Kammergericht einklagen. ICI steht wiederum bei Müllabfuhr, Wasserbetrieben, der Bewag und den Banken in der Kreide.
Die Folgen: Notwendige Investitionen konnten nicht getätigt werden, und die Halle droht zu verfallen. Die Bauaufsicht des Bezirkes Lichtenberg hatte der Betreiberfirma im vergangenen Herbst Auflagen erteilt. „Wenn es in der Halle gebrannt hätte, wäre keiner lebend herausgekommen“, beschreibt Baustadtrat Andreas Geisel (SPD) die Situation. Inzwischen wären die gröbsten Brandschutzauflagen erfüllt. Der Verfall droht weiter.
Die vietnamesischen Handelszentren faulen und kreißen zugleich. Knapp einen Kilometer weiter, ebenfalls in der Rhinstraße, öffnete im März die Konkurrenz. Viele der Textil- und Blumenhändler wollten den jahrelangen Auseinandersetzungen, an wen sie nun ihre Miete zahlen müssen, entfliehen und zogen auf die andere Straßenseite. Doch für die Lebensmittelhändler gab es keine Chance, sich hier anzusiedeln. Das vietnamesische Betreibertrio der neuen Halle kommt selbst aus der Lebensmittelbranche und will die Konkurrenz nicht unterstützen. Die Lebensmittelverkäufer sitzen weiterhin in der alten Halle. Doch die Betreiberfirma ICI und das Lichtenberger Bauamt stehen zum Handelszentrum und warten auf bessere Zeiten.
Weitere Neugründungen sind beabsichtigt. Tamara Hentschel von Reistrommel e.V. kam zu Ohren, daß einige Interessenten zurückschreckten, weil sie – vermutlich von der Konkurrenz – massiv bedroht wurden. Inzwischen haben sich auch Buchholz & Thang nach einem neuen Projekt umgesehen. Sie haben einen Bauantrag für eine neue Verkaufshalle in Hohenschönhausen gestellt. Baustadtrat Tim Berning-Cziszkus (für PDS) merkt man die Unsicherheit an, mit dem Antrag umzugehen. Den Vorwurf der Mietschulden kennt er: „Als Bauamt haben wir die Pflicht, jeden Bauantrag zu prüfen.“ Einerseits, so Berning-Cziszkus, sei das Gelände im Bebauungsplan nicht für den großflächigen Einzelhandel vorgesehen. Andererseits würde die Wirtschaftsverwaltung eine Ansiedlung vietnamesischer Gewerbetreibender ausdrücklich befürworten. Fazit: Über den Bauantrag wurde noch nicht beschieden.
Das jedoch hielt Thang & Buchholz nicht davon ab, im März feierlich die Eröffnung der Bauarbeiten zu begehen. Selbst die vietnamesische Botschaft hatte einen Vertreter entsandt. Das Betreiberpaar hatte für die nichtgenehmigte Halle den Verkauf von Lebensmitteln ausgeschrieben. Um an der Ausschreibung teilnehmen zu dürfen, mußten die Lebensmittelhändler fünftausend Mark zahlen. Etwa zehn Bewerber soll es Hentschel zufolge gegeben haben. Sie verweist darauf, daß die meisten vietnamesischen Händler erst seit wenigen Wochen ein unbefristetes Aufenthaltsrecht haben.
Zuvor konnten sie sich gegen solche Forderungen nicht zur Wehr setzen. Der wirtschaftliche Ruin hätte früher oder später eine Abschiebung zur Folge gehabt. Thang will die Ausschreibegebühren weder bestätigen noch dementieren. „Ich verstehe gar nicht, warum sich die Presse dafür interessiert. Das ist ausschließlich eine Angelegenheit der Vietnamesen.“
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