Vom Einverständnis keine Spur

■ Ein Theater, das gelegentlich sogar darauf verzichtet zu inszenieren: Das Berliner Ensemble verweigert dem Regisseur Frank-Patrick Steckel aus Kostengründen sein aufwendiges Brecht-Projekt. Teuer wird's trotz

Hundert Jahre Brecht, Jubelfeiern überall. Am Brechthaus, dem Berliner Ensemble, trägt die Brechtpflege auch Züge von absurdem Theater. Sie könnte für das mit Steuergeldern hochsubventionierte Theater teuer werden.

Der Regisseur Frank-Patrick Steckel sollte zum Zentenarium das „Badener Lehrstück vom Einverständnis“ auf die Bühne bringen. Ein Projekt, das Steckel zwar recht ehrgeizig konzipiert hatte und das dennoch nie zustande kam. Nach aberwitzigen Verhandlungen zwischen Regisseur und Theaterleitung, nach unzähligen Vertragsentwürfen, Briefen, Faxen, Änderungsvorschlägen soll nun das letzte Kapitel vor Gericht geschrieben werden: Streitwert circa 190.000 Mark. (Steckels Klageschrift wird noch in dieser Woche eingereicht.)

„Kein Außenstehender kann sich vorstellen, was am BE los ist. Ich wurde ja gewarnt“, kommentiert Steckel lakonisch. Sein Inszenierungskonzept verlangte den Einsatz von Chören, eines Orchesters, von Sängern und Tänzern. Die Geschäftsleitung zeigte sich dem aufwendigen Plan zunächst aufgeschlossen. Heute wiegelt BE- Geschäftsführer Peter Sauerbaum ab: „Von 300 Chorsängern hatte Steckel ganz zu Anfang gesprochen. Ich nahm das nicht ganz ernst, immerhin sind wir ein Schauspiel- und kein Opernhaus.“ Obwohl Sauerbaum wie auch dem künstlerischen Leiter Stefan Suschke das Konzept Steckels in seinem Umfang bekannt war, ließen sie den Regisseur guten Glaubens an die Arbeit gehen.

Und bevor man überhaupt angefangen hatte zu kalkulieren, wurde ein Vertrag mit den Brecht- Erben abgeschlossen, der das BE verpflichtete, für die Spielzeit 1997/98 dreißig Vorstellungen des „Badener Lehrstücks“ anzusetzen. „Bei Nichterfüllung dieser Verpflichtung zahlt das Berliner Ensemble an die Brecht-Erben und die anderen Berechtigten je nicht stattgefundene Vorstellung 75 Prozent der bei ausverkauftem Haus anfallenden Urhebervergütung“, so der Wortlaut des Vertrages. Bei einem voraussichtlichen Premierentermin Ende Februar stellte dies jedoch angesichts der zweifellos immensen Zahl der Gastmusiker und Tänzer eine für ein Repertoiretheater wie das Berliner Ensemble schier unerfüllbare Bedingung dar.

Hatte dies der Verwaltungspraktiker Sauerbaum in fahrlässiger Sorglosigkeit nicht bedacht, oder „nimmt das Berliner Ensemble, vermutlich um des lieben Friedens willen, billigend in Kauf, daß eine mit Sicherheit nicht zu leistende Vorstellungsgarantie Vertragsbestandteil wird?“ „Ich will Ihnen“, so Steckel, „freimütig gestehen, daß mir ein solcher Vertrag angesichts der Art und Weise, in der darin öffentliche Gelder zu Tantiemen für die Brecht-Erben ,gewaschen‘ werden, nahezu Strafrechtstatbestände zu erfüllen scheint“ (Brief von Steckel an Sauerbaum vom 6. April 1997).

Im Gespräch nennt Sauerbaum das eine „unverschämte Unterstellung“. Es sei „normal“, Ausfalltantiemen zu bezahlen; die vertraglich vereinbarte Größenordnung wollte er „nicht dementieren“. Und Suschke ergänzt: „Man könnte gerade bei diesem Theater, das einiges dazu tut, die Schatullen der Brecht-Erben zu füllen, ein gewisses Entgegenkommen erwarten. Aber da wir das BE sind, sind wir auf die Rechte von Brechtstücken angewiesen.“ Für Steckel begann der monatelange Kleinkrieg mit den Realisten vom Berliner Ensemble.

„Dann fing Herr Sauerbaum an zu rechnen und stellte fest, daß die Produktion wahnsinnig teuer sei.“ Steckels Vorschlag, die Kosten für Musiker und Tänzer aus Lottomitteln aufzufangen, wurde jedoch abgelehnt. „Sauerbaum hatte sich einen Bewilligungsbescheid für 2,5 Millionen Mark Lottogelder geben lassen, der ihn verpflichtete, diese nach Möglichkeit zurückzuzahlen. Ich machte jetzt einen folgenschweren Fehler, ich nahm an, es sei nicht wahr, ich dachte, er belügt mich.“

In dieser Annahme kalkulierte der Regisseur auf der vorgegebenen Basis weiter, zumal weder ihm noch dem Chefdramaturgen und Leitungsmitglied Carl Hegemann Einsicht in den suspekten Stiftungsvertrag gewährt wurde. Weil aber aus dem Etat des Hauses laut Gesellschaftervertrag Einnahmen erwirtschaftet werden müssen, kam eine Mischfinanzierung nicht in Frage. „Sauerbaum hatte von Anfang an, und dann über Monate hinweg, ein grotesk falsches Finanzierungsmodell mitgeschleppt, das sich am Schluß als die Fußfessel erwies.“

Weitere Schwierigkeiten tauchten auf, als die Brecht-Erben eine ergänzende Vertonung der in Hindemiths Fassung nicht berücksichtigten Textstellen ablehnten und statt dessen auf einer Neuvertonung bestanden. Als schließlich klar wurde, daß das Geld nicht reichen würde, teilte Suschke dem perplexen Regisseur mit, man habe sich auf eine „Oratoriumsvariante“ verständigt. Ein Theater, an dem man darauf verzichtet zu inszenieren; das ist ungefähr so, als wollte Götz Friedrich eine szenische Lesung von „Tristan und Isolde“ aus dem Reclamheft veranstalten.

Billiger wäre es allerdings tatsächlich geworden: Steckel, der den Ausdruck „Oratoriumsvariante“ als ein „pompöses Wort für eine Art Schulaufführung“ bezeichnete, erklärte sich – ein Regisseur sei ja nun überflüssig – bereit, „eine künstlerische Beraterfunktion wahrzunehmen, für die ich eine Unkostengebühr von DM 5.– zzgl. Mehrwertsteuer erhebe“ (Brief vom 16. Juli 1997).

Zu allem Überfluß kam es dann noch zum Orchestergrabenkrieg. Für die Inszenierung Steckels sollte der Orchestergraben des BE wiederhergestellt werden. Tatsächlich wurde es Sache des Gastregisseurs, sich mit Denkmalpflege, Bau- und Kulturverwaltung auseinanderzusetzen. Hausherr Suschke wird von Steckel mit der Äußerung zitiert, es sei ihm „egal, was Herr Peymann für einen Orchestergraben erbt“.

Vom allgemeinen Desinteresse entnervt, stellte Steckel fest: „Ich bin, meine Herren, nicht ein Partner Ihres Dilettantismus, bestenfalls sein Opfer, nicht das erste, wie mir scheint, und, wie zu fürchten steht, keineswegs das letzte. Ich stehe Ihnen also weder bei der Verwaltung der traurigen Trümmer des Lehrstücks noch bei weiteren Untaten zur Seite.“

Steckels Fazit aus dem Umgang mit Sauerbaum/Suschke: „Dieser Mangel an Professionalität und dieser Mangel an Moral, das Charakterlose dieses Tuns und Treibens, erzeugt nach ganz kurzer Zeit zwischen diesen Leuten und jedem, der nicht so denkt, Reibungsflächen.“

Ganz anders sieht das Peter Sauerbaum: „Wenn Steckel frühzeitiger in der Lage gewesen wäre, seine konzeptionellen Vorstellungen den Finanzierungsbedingungen anzupassen, dann hätten wir jetzt das ,Badener Lehrstück vom Einverständnis‘. Aber so haben wir das eben nicht.“ Eine schmerzliche Erkenntnis. Denn, so Suschke: „Es war ein großes Unternehmen, was wir geplant haben. Es hing mit der Wertigkeit des Stückes und des Regisseurs zusammen. Herr Steckel ist nicht irgendwer.“ Fürwahr, ein eigenartiges Geschäfts- und Kunstverständnis: Geschäftsführer Sauerbaum schließt vorsorglich erst einmal Verträge; im Anschluß versuchen die Hundertjahrfeierer vom BE den Regisseur, von dessen Ruf sie profitieren wollen, ohne seine konzeptionellen Vorstellungen „ganz ernst“ zu nehmen, auf das Maß ihrer beschränkten Möglichkeiten herunterzuschrauben. Übrig blieb am Ende nur die Musik von Carlos Farias.

Eines ist klar: Nach dem, was Steckel zu berichten weiß, ist es unmöglich, am BE derzeit den Gegensatz von künstlerischen Konzeptionen einerseits und Marktzwängen andererseits zu bemühen. Alles Gerede über eine künstlerische Krise geht an dem trivialen Umstand vorbei, daß die Herren schlicht nicht wirtschaften können. Suschke findet das Scheitern einer Produktion bedauerlich, aber normal. Steckel hingegen meint: „Diese Höllenmischung aus Inkompetenz im Menschlichen und Inkompetenz im Sachlichen ist verhängnisvoll. Wenn das mit Herrn Peymann nicht klappt, dann machen die da weiter, und das wäre die ungefähr furchtbarste Vorstellung, die man sich machen kann.“ Helga Angarano,

Christian Rochow, Axel Schalk