: Interview zur Ersteigerung des Jahnn-Manuskripts
taz: Harald Weigel, Sie sind der Leiter der Handschriftenabteilung der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek. Wie darf man sich die Ersteigerung eines Manuskripts wie das von Hans Henny Jahnn denn vorstellen?
Harald Weigel: Das hat gar nichts Geheimnisvolles. In Hamburg gibt es zweimal jährlich wichtige Versteigerungen, die Manuskripte betreffen. Da werden Kataloge gedruckt, die sieht man sich an. Und dann läuft alles so ab, wie man es aus Filmen kennt. Man bekommt Karten mit Nummern, die hält man so lange hoch, wie man die Gebote mithalten will.
Wer bietet denn normalerweise mit?
Auf diesen Veranstaltungen sitzen natürlich sehr viele Antiquare. Viele davon haben ganz spezielle Kunden. Aber auch für normale Leser läßt sich da ganz leicht mal ein Schnäppchen machen. Auf jeden Fall ist das alles völlig öffentlich.
Wie sieht das ersteigerte Jahnn-Manuskript eigentlich aus?
Es handelt sich um eine gebundene, recht umfangreiche Kladde. In den vorderen Teil hat jemand Kochrezepte eingetragen. 200 Seiten waren noch frei, und die hat Jahnn benutzt, um dort die frühe Fassung des Perrudja reinzuschreiben. Am Ende des Buches befindet sich noch ein alphabetisches Register, auch das hat er ganz vollgeschrieben. Es handelt sich offenbar um die Fortsetzung eines Manuskriptes, das in Basel liegt. Außerdem findet sich ein ganz neuer, vier Seiten langer Text Jahnns: Der graue Blick.
Was wird mit dem Manuskript jetzt passieren?
Wie Sie vielleicht wissen, lagern in der Staats- und Universitätsbibliothek je nach Zählweise zwischen 250 und 400 Nachlässe von Schriftstellern. Der Nachlaß von Wolfgang Borchert findet sich darunter und der von Hubert Fichte und eben auch der fast vollständige Nachlaß Hans Henny Jahnns. Die Manuskripte sind im Handschriftenlesesaal nach vorheriger Anmeldung einsehbar. Jeder, der einen wissenschaftlichen Zweck verfolgt, kann sie anschauen. Eine Empfehlung eines Professors ist dafür allerdings erforderlich.
Und was wird von literaturwissenschaftlicher Seite aus passieren?
Jetzt sprechen Sie unsere Arbeitskapazitäten an. Und da muß man sagen: Wir leben noch, aber das, was aus der Arbeitsroutine herausfällt, ist nicht mehr drin. Auch bei uns schlagen eben die Sparbeschlüsse des Hamburger Senats durch. Zum Beispiel, was dieses Jahnn-Manuskript betrifft. Da konnten jetzt genug Fremdmittel, sprich: Spenden zusammengebracht werden, um es zu ersteigern. Dabei sind wir übrigens Herrn Professor Heimo Reinitzer sehr zu Dank verpflichtet. Aber so, wie unsere Personallage nun einmal ist, haben wir nicht die geringste Chance, es wissenschaftlich aufzuarbeiten. Natürlich können wir Hilfskräfte daransetzen, aber zur wirklichen bibliothekarischen Erschließung eines Manuskriptes bedarf es einiges mehr. Da muß ein Katalog erstellt werden, das umfaßt Informationen zu Briefen und dies und das. Und zu einer solchen wissenschaftlich fundierten Erschließung haben wir keine Chance. Einerseits hat sich unserer Handschriftenbestand aufgrund von Rückführungen aus der ehemaligen DDR oder St. Petersburg in den vergangenen Jahren verdoppelt. Andererseits wurden Stellen gestrichen. So ist die Lage.
Fragen: Dirk Knipphals
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