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Trab-Trab zum Schlachter

■ So gesund! In Zeiten von Rinderwahnsinn und Schweinepest brauchen sich Hamburgs Roßschlachter um Kundschaft nicht zu sorgen Von Anita Merkt

Würstchen sind der Verkaufshit. Wenn um die Mittagszeit bei den Altonaer Werktätigen der Magen knurrt, fischt die Schlachterei-Verkäuferin in der Lobuschstraße ein längliches Fleischerzeugnis nach dem anderen aus dem Siedewasser. Doch für die Eiweißversorgung ihrer Kunden mußten weder Schweine noch Rinder ein Mastleben hinter sich bringen.

Die Roßschlachterei Willy Klaus ist eine von knapp zehn Pferdemetzgereien, die in Hamburg noch immer ihr fettarmes Fleisch an den Mann und die Frau bringen. Für die Kunden in der Lobuschstraße ist der Genuß von Pferdefleisch so selbstverständlich, daß sie mit der Frage nach dem „Warum?“ wenig anfangen können. „Weil's schmeckt“, lautet die einhellige Antwort. Skrupel von Pferdeliebhabern, die sich nicht vorstellen mögen, ihre vierbeinige Sattelunterlage zu verzehren, sind ihnen fremd. Was vielen heute als exotische oder gar moralisch verwerfliche Vorliebe erscheint, bestimmte noch vor wenigen Jahrzehnten die Essensgewohnheiten gerade der „kleinen Leute“ in Hamburg. „Nach dem Krieg gab es hier noch mindestens hundert Pferdeschlachtereien“, erinnert sich Roßschlachtermeister Dieter Kiel, der in Bramfeld Pferdesteak und Fohlengulasch verkauft.

Für ärmere Bevölkerungsschichten lieferten Pferde in der Kriegs- und Nachkriegszeit oft das einzige Fleisch, das überhaupt zu bekommen war. Pferdefleisch konnte man auch ohne Lebensmittelkarten bekommen. Wenn ein Zugtier bei einem Bombenangriff verletzt wurde, standen die Leute vor der nächsten Roßschlachterei Schlange. „Schweinefleisch ist teuer, Schweinefleisch ist knapp, gehn wir schnell zum Metzger und kaufen uns Trab-Trab, alle Leute sollen sehn, wie wir beim Metzger Schlange stehn, für eine Mark und zehn“, dichtete der Volksmund zur Melodie von „Lilli Marleen“.

Mit zunehmender Motorisierung fehlte den Roßschlachtereien jedoch der Nachschub. In den Wirtschaftswunderjahren galt es zudem als Zeichen von Wohlstand, wenn man sich Rind- und Schweinefleisch leisten konnte. „Vor zwanzig Jahren haben wir noch Ackergäule aus Polen, Rußland und Rumänien importiert. Heute haben so viele Betriebe aufgegeben, daß die paar übriggebliebenen Schlachter mit den schleswig-holsteinischen Reitpferden auskommen“, erzählt Willy Klaus. Mit seiner Schlachterei in der Papenreye beliefert der Roßschlachtermeister die Filialen in der Lobuschstraße, im Schanzenviertel und in der City.

Seit die FleischesserInnen von Nachrichten über Rinderwahn und Schweinepest verunsichert wurden, haben die Roßschlachter wieder verstärkten Zulauf. Viele probieren eher zaghaft ihr erstes Pferdefleisch. „Unter unseren Kunden sind viele gesundheitsbewußte junge Leute, die sagen, man kann ja sonst nix mehr essen“, erzählt Schlachtersfrau Charlotte Kiel. „Andere Kunden vertragen kein Cholesterin und essen es deswegen.“ Unter Kennern gilt das fettarme Muskelfleisch als herzhafter und kräftiger im Geschmack als Schweine- oder Rindfleisch.

Alte Klepper landen nicht in der Fleischtheke. „Dafür sorgen schon die Tierärzte, die die Pferde vor dem Schlachten untersuchen, und die staatlichen Fleischbeschauer“, versichert Kiel. Vor allem für Traber, die auf der Rennbahn kein Geld mehr bringen oder für Reitpferde mit Beinverletzungen ist beim Pferdeschlachter Endstation. Auch für die Zucht ungeeignete Fohlen oder „überzählige“ Hengstfohlen werden zu Steak oder Wurst verarbeitet. „Wenn die Leute sich überhaupt trauen, ihr Pferd selbst zu uns zu bringen, fließen schon mal Tränen“, erzählt der Schlachter. Der 54jährige hat selbst Ponys zu Hause. „Als eines davon huflahm wurde, habe ich es nicht übers Herz gebracht, es selbst zu töten. Zum Glück hat das dann mein Kollege übernommen“.

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