: „Besser als die Lindenstraße“
■ Wie sich die Lüneburger Scharnhorst-Kaserne durch AStA-Initiative in ein studentisches Wohnheim verwandelte Von Heike Haarhoff
„Irgendwann haben wir gedacht, wir fangen einfach an zu bauen, weil uns sonst nie jemand ernst nehmen wird“, erinnert sich Klaus Hoppe. Das war vor zwei Jahren. Die Uni Lüneburg platzte mit rund 6000 Studierenden aus allen Nähten; Wohnraum zählte zu den kaum bezahlbaren Luxusgütern in der Stadt. Den Frust hatte Klaus, damals 24 und Student der „Angewandten Kulturwissenschaften“, irgendwie satt: „Wir hielten schon damals nach Bauplätzen Ausschau.“
Daß die Soldaten der Scharnhorst-Kaserne just zu dieser Zeit ihr riesiges Gelände im Süden Lüneburgs räumten, war eine militärische Entscheidung, auf die Klaus schon lange gewartet hatte. Doch die Uni-Leitung reagierte unverzüglich mit Beschlagnahme: Mit dem Bundesvermögensamt als Besitzerin wurde die künftige Aufteilung der Flächen und Gebäude klar gemacht. Noch in diesem Jahrtausend, so die grobe Planung, sollte die gesamte Universität in das ehemalige Sperrgebiet umziehen. Das Studentenwerk Braunschweig – dem die Uni Lüneburg angeschlossen ist – witterte Bauaufträge und kündigte an, vier der Backsteinhäuser in Studenten-Wohnheime mit insgesamt 193 Plätzen zu verwandeln.
Nach diesen verlockenden Versprechen kehrte Ruhe ein, das Projekt dämmerte vor sich hin. „Da haben wir vom AStA vorgeschlagen, zwei der Gebäude in der Zwischenzeit als Wohnhaus und Kulturzentrum umzugestalten, bis die Uni tatsächlich in die Pötte kommt“, sagt Klaus. Und veranschlagte zur Finanzierung eine Million Mark. Kein Pappenstiel. „Politisch wurden wir sowohl von der Uni als auch vom Wissenschaftsministerium unterstützt.“ Mit wohlwollenden Worten läßt sich aber leider kein Mörtel für Zwischenwände bezahlen. Die Stadt Lüneburg stellte immerhin eine Spende in Höhe von 50.000 Mark in Aussicht, falls die Gesamtfinanzierung gesichert sei. War sie natürlich nicht. „Aber als AStA-Finanzreferent verfügte ich über 20.000 Mark Startkapital“, erzählt Klaus Hoppe mit schelmischem Blick, wie er zum Pokern kam. Zusammen mit 30 engagierten StudentInnen plante er „Kasernengebäude 15“ als künftiges Wohnheim: „Wir haben damals bei Baufirmen auf Rechnung eingekauft und mit den Leuten, die angepackt haben, vereinbart, ihnen die Löhne später zu bezahlen.“
Was sich unglaublich anhört, gelang den Studierenden souverän und in nur drei Monaten: 54 Zimmer in Wohngemeinschaften mit sechs bis neun Personen wurden bis zum Beginn des Wintersemesters 1993/94 bezugsfertig, Trennwände eingezogen, Küche, Bad, Flure und Gemeinschaftsräume renoviert. „Wir sind damals ohne Zeichnung in das Haus gegangen und haben überlegt, wo könnte man wohl eine Wand ziehen“, schildert Klaus seine ersten Erfahrungen auf dem Bau. Das Land Niedersachsen war beeindruckt und gewährte dem Verein, den die Studierenden zwischenzeitlich gegründet hatten, schließlich eine Landesbürgschaft von 300.000 Mark. Der Kredit wird über die Mieteinnahmen (elf Mark pro Quadratmeter) zurückgezahlt.
Anfang 1994 wurde das Dachgeschoß des Hauses 15 ausgebaut: „Eine enorme Belastung. Die Leute wohnten unten und arbeiteten oben.“ Das Kulturhaus mußte wegen der Finanzlage verschoben werden; statt dessen zogen Janka Hammer und ihr Kommilitone Ans-gar in Eigenregie die Fahrradselbsthilfewerkstatt „KonRad“ hoch, die sich heute fast selbst trägt. In der ehemaligen Turnhalle, wo einst Soldaten militärischer Drill verpaßt wurde, läßt es sich gemütlich frühstücken: „Café Vamos“ – fest in studentischer Hand – macht's möglich.
Inzwischen läuft auf dem Bau alles ein bißchen professioneller: Das Studentenwerk Braunschweig – überrascht, daß sich aus der Utopie der studentischen Chaoten ein Projekt entwickeln konnte, das ihren eigenen Vorhaben ernsthaft Konkurrenz macht, reagierte ziemlich sauer, als die Landesregierung im Frühjahr 1995 nicht nur entschied, das renovierte Haus 15 dauerhaft als Wohnheim zu belassen, sondern auch dem Verein „Campus Lüneburg“ per Haushaltszuschuß grünes Licht erteilte, zwei weitere Kasernengebäude umzubauen. Das Studentenwerk wurde mit dem Bau eines neuen Wohnheims und einer Kindertagesstätte abgespeist. „Das ist eine politische Entscheidung, gegen die wir nichts unternehmen können“, ärgert sich die stellvertretende Geschäftsführerin Hannelore Frank noch heute. „Wir bauen eben günstiger und schneller“, wirbt Klaus Hoppe, inzwischen Geschäftsführer des Campus-Vereins, wie ein Profi-Bauleiter für sein Projekt. Bis zum Oktober sollen 92 weitere Zimmer fertig sein. „Alle werden mit ökologischem Dämm-material versehen“, betont Janka, die die Arbeit auf der Baustelle koordiniert.
Bis dahin wird auch der Uni-Betrieb zu 80 Prozent auf dem neuen Campus stattfinden. Überhaupt erinnern nur ein paar Reliquien wie die Nischen für Gewehre in den Fluren (künftig Garderoben) und Wandsprüche wie „Deutschland einig Vaterland“ im schwarz-rot-goldenen Rahmen an die jüngste Vergangenheit der Gebäude. Die auf dem Bau Tätigen haben zum Teil eine sehr merkwürdige Beziehung zum Militär: So auch der Elektroinstallateur. Sein Opa baute an der Kaserne mit, sein Vater schuf dort Elektroinstallationen, und er selbst verlegt heute die Kabel. Alle drei waren selbstverständlich nie beim Militär.
„Das läuft aber nicht immer alles so friedlich ab“, sagt Klaus. Konflikte gab es auch mit der Handwerkskammer, die um die Aufträge der örtlichen Baufirmen fürchtete. „Blödsinn“, sagt Klaus. „Wir beschäftigen auch Fremdfirmen.“ SPD und CDU machten das Vorzeige-Projekt sogar zum Wahlkampfthema. Und dann gibt es selbst in einem studentischen Wohnprojekt den ganz normalen Ärger mit den Mietern. „Unser Haus ist besser als die Lindenstraße. Manchmal beklagen die sich bei mir über Ruhestörung oder motzen, weil der Kabelanschluß nicht funktioniert“, sagt Klaus und findet es gar nicht amüsant, wenn er im Vorbeigehen mit „Hallo Boß“ gegrüßt wird.
Die Belastung ist ihm anzumerken: Seit zwei Jahren schleift das Studium so nebenbei mit. „Aber man wächst da so rein.“ Ein komisches Gefühl haben Klaus und Janka schon, wenn sie daran denken, daß sie „ihr“ Projekt eines Tages in fremde Hände geben müssen. „Da kann man nur hoffen, daß die nächsten auch so engagiert sind.“
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