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Stadtmagazin auf Heim-Computer

■ „Hamburg Online – City Info“: Per Computer Pizzen, Infos, Kino- und Theaterkarten bestellen – oder Kontakte knüpfen

Harry ist im Netz, aber gerade nicht ansprechbar. „Der liest erotische Texte. Das macht er oft“, weiß Jürgen Stephan, 31, frischgebackener Unternehmer und Anbieter des ersten lokalen Online-Dienstes „Hamburg Online – City Info“ (O.C.I.). Er kennt seine Pappenheimer. Kein Wunder: die Kundschaft ist noch überschaubar. Zirka 500 Anrufer klinken sich pro Tag in die 28 Leitungen von O.C.I. ein.

Angefangen hat alles mit einem Filmbericht über „Kontakt-Mailboxen im Eigenbau“. Dabei lernte Stephan, hauptberuflich Fernsehjournalist, den Hamburger Computerfreak Klaus Mack (41) kennen, der drei Telefonanschlüsse anmietete und so die Möglichkeit zum anonymen Schäferstündchen im Computernetz einrichtete. Im März entstand aus dieser Zufallsbekanntschaft eine Firma.

„Ein richtiges Stadtmagazin soll O.C.I. werden“, sagt der Jungverleger. Im Lauf der nächsten sechs Monate soll ein Großteil des städtischen Angebots online abrufbar sein. Kino, Theater, Konzerte, Ausstellungen, Sportinfos und ein Kartenbestellservice sind geplant. Außerdem soll eine virtuelle Agentur Reiseangebote unterbreiten.

Wer einen PC, ein Modem und ein Telefon hat, kann jetzt schon die erste „Online-Pizza“ Deutschlands bestellen oder das Film- und Theaterprogramm durchforsten. Beides ist nach Veranstaltungsorten, Titeln und Anfangszeiten sortiert. Vorbestellungen fürs Kino sind bisher für Abaton, Alabama, Blankeneser- und Mundsburg-Kinos, Metropolis und Zeise-Kinos möglich. Theaterplätze können demnächst für die Kammerspiele oder das Rock-Musical Grease gebucht werden. Außerdem kann man E-Mails übers Internet schicken. Außer den Telefongebühren ist alles gratis.

Geld bringen bislang allein digitale Kontaktsucher ein. Männer zahlen zehn Mark pro Monat für 15 Stunden Zugang. Frauen bezahlen nichts. „Wie überall im Kontaktbereich sind auch unsere User zu 90 Prozent Männer“, bedauert Stephan. Wer im Computer mitchatten will, muß volljährig sein. Auch wenn kommerzielle Angebote bei O.C.I. verboten sind.

Spätestens in einem Jahr erwartet Stephan 1.000 zahlende Kunden haben. Schwarze Zahlen sollen auch Anzeigenkunden bringen und Firmen, die Produktinfos einspeisen wollen. Zwar gehe vieles mühsamer als geplant, aber Computerfirmen oder große Verlage wollten sie trotzdem nicht ansprechen. „Da wäre sicher was zu machen. Aber wir hätten dann keinen Einfluß mehr darauf, wie sich unser Projekt entwickelt.“ Ein redaktioneller O.C.I.-Teil liegt noch fern.

Am besten besucht ist das Netz übrigens morgens zwischen sechs und neun oder abends ab 21 Uhr. Das Beispiel Mack und Stephan zeigt, daß sich der Einsatz in der Computerschwatzbude lohnen kann: sie haben dort ihren Rechtsanwalt kennengelernt.

Susanne Lob

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