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Gymnasium wurde zum Rotlichtviertel

■ Abschlußfeier am Alten Gymnasium stand unter dem Motto „Rotlicht“/ Bildungsbehörde prüft disziplinarrechtliche Konsequenzen

Das Alte Gymnasium gilt als eine der traditionsreichsten Schulen Bremens. Seit 470 Jahren büffeln die Pennäler hier, um die Weihe einer höheren Bildung zu erlangen. Die letzte „Nulltagefeier“der angehenden Abiturienten hat jetzt allerdings die Bildungsbehörde und die Frauenbeauftragte auf den Plan gerufen. Rund 600 SchülerInnen im Alter von 17 bis 19 Jahren feierten unter dem Motto „Rotlichtviertel“das älteste Gewerbe der Welt. Die Mädchen stöckelten als Nutten verkleidet in hochhackigen Schuhen, kurzen Minis und Netzstrümpfen durch die Aula. Pornohefte wurden verteilt. Die Jungen mimten Zuhälter, Türsteher und Polizisten. Ein Mathelehrer zog laut Zeugenaussagen sein Hemd aus und tanzte mit nacktem Oberkörper vor den Schülern.

„Wir kritisieren diese Feier ausdrücklich“, sagt Erika Huxhold, Sprecherin von Bildungssenatorin Bringfriede Kahrs (SPD). Die Behörde hat die Schulleitung jetzt aufgefordert, eine Stellungnahme abzugeben, um zu prüfen, inwieweit das Verhalten des Lehrers disziplinarisch relevant sein könnte. Darüber hinaus will die Behörde Bremens Schulen anschreiben, um zu erfahren, ob „diese ausgerutschte Unsitte“, so Huxhold, auch an anderen Schulen „stillschweigend hilflos geduldet wird“. „Die Behandlung dieses Themas im Rahmen einer solchen Feier ist eine Provokation und kein sachgemäßer Unterricht“, sagt Huxhold.

In die gleiche Kerbe schlägt Frauenbeauftragte Ulrike Hauffe. „Die Realität der Prostitution wird völlig verklärt.“SchülerInnen des Alten Gymnasiums hatten sich an Hauffe gewandt, nachdem sie in der Schule mit ihrem Protest gescheitert waren. „Der Preis, den die Prostituierte zahlt, ist ein Preis, den Frauen – in den unterschiedlichsten Varianten auch in anderen Bereichen zahlen: die soziale Ächtung, den Selbsthaß, die Entfremdung“, plakatierten Zitate feministischer Literatur die Wände. Der Hausmeister riß die Flugblätter ab. Der Schulleiter, Hermann von der Heide, reagierte nicht. „Die Gegenbewegung hat zu spät eingesetzt, außerdem blieben die Schüler anonym“, so von der Heide zur taz. Er habe zu spät von dem Motto der Abschlußparty erfahren, sagt der Schulleiter. „Ich bin um 7.15 in die Schule gekommen, und um 8.30 Uhr ging es schon los.“Auch wenn er das Motto „nicht gut“fand, wollte er die Feier nicht mehr abblasen. Außerdem: Selbst die Lehrerinnen der Schule hätten „nichts Anstößiges“an der Feier gefunden. Das sieht Bürgerschaftsabgeordnete Elke Kröning, früher Lehrerin am Alten Gymnasium, anders: „Widerlich, geschmacklos und schamlos“, findet sie. „Bei soviel Frauenfeindlichkeit kann einem die kalte Wut hochkommen. Was für ein pädagogischer Anspruch soll denn dahinter stecken? Bei aller Freude fürs Feiern: Hier werden Grenzen überschritten. Schüler dürfen das, aber es muß Erwachsene geben, die einschreiten. Die Themen der Nulltagefeiern sickern immer durch, und als Lehrer muß man schon mal den Mut haben, sowas zu verbieten.“

Die Schülervertretung versteht die Aufregung hingegen nicht. „Jedem war es freigestellt wegzubleiben“, sagt Schulsprecherin Christina Gräper (19). „Man kann das Ganze auch verbissen sehen. Das Thema ist mehrheitlich von der Vollversammlung gewählt worden. Das Ganze war ein Spaß.“

„Es war fürchterlich“, beschreibt hingegen eine Schülerin die Stimmung. „Jeder, der gewagt hat, etwas gegen dieses Thema zu sagen, wurde als prüde hingestellt. Viele haben mitgemacht, weil sie den Druck und den Spott der anderen nicht aushalten konnten.“ kes

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