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Eine Widmung an Michael Born durfte nicht sein

■ Ganz neu: Das Fernsehen schreibt jetzt dazu, wenn es lügt: „Fiktiv“ (23.15 Uhr, Kabel1)

Am 23. Dezember des Jahres 0000 wird der „Fernsehfälscher“ Michael Born zu vier Jahren Haft verurteilt und damit, so sein Verteidiger Norman Jacob, zum „größten Nachkriegsmedienfall“. Seither, meint Jacob, gebe es „eine Zeit vor und nach Born“.

Im Jahre 0002 v.B. dreht Michael Born an einem Fernsehbeitrag über „getürkte türkische Kurden“ (Born); Günther Jauch moderiert „SternTV“, und ein Mann namens Michael Stehr arbeitet für die legendäre Fake-Zeitung Neue Spezial und hat eine Idee – doch das Fernsehen zeigt kein Interesse.

Im Jahre 0002 n.B. ist Born Freigänger der Justizvollzugsanstalt Wittlich; Jauch moderiert „SternTV“; und auf Kabel1 erklingt eine neue Magazin-Fanfare, eine stilisierte Weltkugel schwebt heran, Reportagebilder (Rettungshubschrauber, Striptease-Tänzerin, Koalabär, Fußballfans, ein Chirurg) werden eingeblendet, dann das schlichte Logo – und Michael Stehrs Idee ist Fernsehwirklichkeit geworden: Er ist Chefautor von „Fiktiv“, Deutschlands erstem Fake-Magazin.

Eigentlich, so Stehr, hätte er gern eine Widmung für Michael Born im „Fiktiv“-Vorspann gehabt, aber das habe sich Kabel1 verständlicherweise verbeten. Statt dessen hat er nun Peer Augustinski als Anchorman. Der muß mit allerlei Slapstick-Faux-pas für die nötige Unseriösität sorgen. Denn so, wie sich schon der Vorspann einer standardisierten Boulevard/News-Symbolik bedient, ziehen auch die Beiträge alle Register routinierter 08/15-Kurzberichterstattung: suggestive Zooms, tendenziöse Passanten- und Expertenbefragung, die Off-Kommentare reich an Seriösitätsfloskeln... Man kennt das.

Auch die Lust, aus dem Fake Format zu machen, ist vertraut: Sat.1 mischte bereits im April letzten Jahres wahre mit unwahrer Berichterstattung und glaubte den Mist als Promi-Quiz „Wahr oder unwahr“ verkaufen zu können; das Kulturfenster Kanal4 versuchte mit „stop“ und einem zweifellos aufklärerischen Ansatz im Januar diesen Jahres ähnliches; und Focus erklärt derzeit das Interesse am Fake vorsichtshalber zum Nonsens-Trend. Doch „Fiktiv“ ist konsequenter, detailgetreuer und ideenreicher und besticht vor allem durch die Professionalität der (zum Teil hübsch albernen) Beiträge. Schließlich wird „Fiktiv“ von der Dortmunder WestCom Entertainment produziert, die u.a. auch für den nordrhein-westfälischen Sat.1- Regionalreport „17.30“ filmt.

Bleibt zu hoffen, daß da nicht mal zufällig die Bänder vertauscht werden. Auch Stehr hofft das, wenngleich augenzwinkernd: „Ein Fake-Magazin ohne Comedy- Kennung“, sagt er, „das wär' mein Traum!“ Christoph Schultheis

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