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Wenn die Lungenflügel flattern

■ Rüdiger Dahlkes Heilmeditations-CD nervt selbst ein ganz friedliches Lämmlein bis zum Anschlag. Der Grund: Er will heilen, heilen, heilen / Heute abend will er nur beim Entschlacken helfen. Ob das gutgeht?

Kennen Sie das Gefühl? Jemand redet auf Sie ein. Und schon nach wenigen Minuten ballt sich ihre Faust. Ganz von allein, in der unverkennbar klaren Absicht, dem Gesicht, aus dem Wort um Wort um Wort ohne Unterlaß strömt, eine Sichtluke ins Freßgebälk zu hauen.

Nicht, daß Sie qua Naturell eine latente Neigung zu derlei ekelhaft gewalttätigen Maßnahmen haben müssen. Diesem Reaktionsschema wäre selbst der gute Mahatma G. erlegen, hätte er lauschen müssen, was der Dr. med. Rüdiger Dahlke auf seiner CD „Heilmeditation“eine sich – gefühlte Zeit – mindestens zwei Wochen ziehende dreiviertel Stunde lang von sich gibt.

CDs haben bekanntlich keine Zähne, die man demolieren könnte. Angesichts der immensen Kosten für Zahnersatz wäre die Schwäbisch Gmünder Krankenkasse, die Dahlkes CD vertreibt, auch schlecht beraten, würde ausgerechnet sie den DentistInnen die Kundschaft in die Arme treiben. Also muß man die Quelle der Aggressionen, die dieser Beitrag zur „Entspannung + Harmonie für Körper, Seele, Geist“erzeugt, durch einen gezielten Druck auf die Stoptaste abdrehen. Oder tapfer sein und ohne jedes Maß seine Gefühle in einen Text einfließen lassen.

„Wer Metaphern gebraucht“, sagt der Weltweise Jack Nicholson in dem Film „In & Out“, „kann mir mal den Schritt schamponieren.“Nicht auszudenken, was Nicholson sich einseifen lassen würde von Leuten, die das Cover einer Meditations-CD mit einer zart erblühten rosafarbenen Rose dekorieren.

Legt man die – natürlich! – präservativrosa Scheibe in seinen Player und überwindet den anfänglich beschriebenen Spontanreflex, eröffnet sich die heile Welt des Dr. Dahlke. Seele, Geist und Körper fließen nur so um die Wette, ständig schnaubt der Doc uns was vor, weil jedes Ausatmen ein Akt des Loslassens ist und das Verbrauchte in uns mit der Luft hinausgeblasen wird. Irgendwann, sagt Dahlke, bewegen sich die Lungenflügel wie von selbst und wir spüren uns plötzlich als Flügelwesen, die ins Reich der Phantasie entfliegen. Lungenflatternd ins Phantasialand – man erträgt es nicht.

Schließlich gibt der Sprecher uns noch den Rat, nur das zu wollen, was wir bekommen können und nicht davon zu träumen, alles zu bekommen, was wir wollen. Oder so. Dann erst könnten wir aus vollem Herzen leben und bekämen so nicht einmal einen Schnupfen. Wovon zum Teufel redet der Mann? Ob's an jenen TontechnikerInnen liegt, die mit enervierend eintönigem Gebrumme den Background für Dahlkes eintöniges Gesabbel bilden?

„Wer sich täglich eine halbe Stunde für diese wohltuende Erfahrung schenkt“, sagt Rüdiger Dahlke, „wird nach wenigen Wochen Ausgeglichenheit und innere Ruhe finden, die immer mehr ins tägliche Leben einfließt.“Ein vernünftiger Rat, sich täglich nur eine halbe Stunde zu schenken. So erspart man sich immerhin nicht nur 15 Minuten „Fly away with your Lungenflügel“-Gequatsche. Man ärgert sich zudem nicht so sehr, wenn man nach wenigen Wochen merkt, daß man dem täglichen Leben nicht ernsthaft besser begegnet, nur weil man meditativ geschnaubt hat. Und der wichtige Hinweis auf dem Booklet: „Öfters als zweimal am Tag sollte diese Meditation nicht angewandt werden, da sonst die Gefahr einer zu großen Sensibilisierung besteht“, ist selbstredend ganz großer Blödsinn. Zweimal am Tag Rüdiger Dahlke, und Sie lachen sich schon nach kurzer Zeit beim Anblick überfahrener Omas halbtot und feuern inbrünstig verzweifelte Menschen, die im zwölften Stock am Fenstersims stehen, zum entscheidenden Schritt nach vorn an.

Irgendwie hat mir die CD nicht so gut gefallen. zott

Die CD „Heilmeditation“ist über die Schwäbisch Gmünder Ersatzkasse (GEK) zu beziehen. 36 50 10

Vortrag: „Wege der Reinigung. Entgiften und Entschlacken“, Aula der Waldorfschule, Toulestraße/Schwachhausen

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