Liebestöter mit Ohrenklappen

■ Zwei dänische Choreographien bei den „Jungen Hunden“

Bis auf die weiße Liebestöter-Unterhose zieht er sich nackt aus. Später mummelt er sich wie für eine Polarexpedition wieder ein. Dazwischen sitzt er in leichter Schräglage auf dem Stuhl oder liegt, Arme und Beine nach hinten gebogen, als Torso auf dem Boden.

Anders Christiansens Choreographie Trunk (deutsch: Torso) hat mit Dynamik nicht viel am Hut. Meistens lauscht der Däne regungslos der Cellistin Berit Hessing, die sehr konzentriert Benjamin Brittens Cello-Suite No. 1 spielt. Laut Presseheft will „der seltsamste und eigenwilligste unter den dänischen Choreographen“mit seinem Solo an den „Umgang mit dem männlichen Körper im 20. Jahrhundert erinnern“und hat sich dabei von der Bilderwelt des Malers Francis Bacon inspirieren lassen.

Das klingt recht schön, erhellt den Sinn der minimalistischen Bühnenshow aber auch nicht wesentlich. Weil so wenig passiert, bleibt ausgiebig Zeit zum Nachdenken. Warum läuft Christiansen auf den Außenkanten der Füße, warum wedelt er sich mit einem Fächer Luft zu, warum zieht er sich die Mütze mit Ohrenklappen an? Assoziationen an Japan, China und Sibirien, Fesseln, Zwänge und Ausgeliefertsein wabern durcheinander, bis nur noch eine große, schwammige, müde Leere den Kopf füllt.

Nach der Pause reißt Tim Feldmann das Publikum aus der Lethargie. Zunächst bringt sein kurzes Solo, das, wie das Presseheft verrät, von der expressiven Gestensprache des Malers Egon Schiele geprägt ist, Dynamik ins Spiel. Seine von ihm und Sara Gebran (Venezuela), Charlotte Munch Bengtsen (Dänemark) und Osmany Tellez (Kuba) entwickelte Choreographie Twin ist dann endlich auch ohne interpretatorische Hilfe zu verstehen. Verführerisch, gefühlvoll und intim wird hier das Zwillingsmotiv in immer neuen Paarbildungen zwischen symbolischer Nähe und Abstand durchgetanzt – ein ästhetischer Hochgenuß. Zu expressiver Musik des amerikanischen Komponisten Guy Yarden und lyrischen Videoaufnahmen von Tal Yarden entsteht ein explosiver Wirrwarr aus acht Armen und acht Beinen.

Erst ganz zum Schluß steht wieder ein Mensch allein auf der Bühne: Sara Gebran schleudert wie in spastischen Krämpfen die Gliedmaßen um sich. Hier wird die existentielle Einsamkeit des Menschen auch ohne Hintergrundwissen schmerzlich fühlbar. Karin Liebe

noch heute und morgen, 19.30 Uhr, Kampnagel k4