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Pur: Der singende Romika-Schuh Von Wiglaf Droste

Kann man sich vorstellen, Peter Maffay einmal in Schutz zu nehmen? Den Mann, der schon Gürtelschnallen trug, die größer sind als er selbst? Schwerlich. Und doch habe ich ihn durchmessen, jenen qualvollen Moment, in dem ich mich für Peter Maffay in die Bresche werfen mußte, um ihn zu verteidigen gegen etwas, das noch weit furchtbarer ist als er: Pur heißt die Band und Hartmut Engler ihr Sänger und Texteschreiber.

Das einzig Erstaunliche an Pur ist, daß sie nicht aus dem Osten kommen, ostrockiger, also unsexier und programmatischer als Pur klingen nicht einmal die Puhdys, City und Karat zusammen – und die sind, vielleicht genau deshalb, auch längst nicht so erfolgreich wie ihre Adepten aus Baden-Württemberg: Zwei Millionen Deutsche stehen Schlange, wenn ein neues Pur-Album erscheint, und die Hälfte von ihnen will sich das Elend auch live nicht entgehen lassen. „Komm mit ins Abenteuerland, der Eintritt kostet den Verstand“, lockt der Refrain eines älteren Pur-Hits das Publikum, und das zahlt diesen äußerst geringen Obolus immer wieder gern.

Weshalb auch Pur immer das weitermachen, was sie seit 20 Jahren tun. Kein Brett ist zu dünn, als daß Hartmut Engler es nicht mit großer Geste und Black & Decker- Lyrik noch einmal bohrte. Dabei ist er durchaus tüchtig; es gelingt ihm, die Käufer von morgen noch früher anzuschleimen als Konkurrenten wie Dieter Bohlen oder Campino – von Engler werden zukünftige Konsumenten bereits im Mutterbauch traktiert. „Wenn du da bist, wenn du Licht siehst, und das zum allerersten Mal“, jauchzt Engler auf der neuen Pur-CD „Mächtig viel Theater“ seinen Trost für Trostlose: „Wir steh'n dir bei! und „Ich schwör' dir, deine Mutter ist 'ne klasse Frau!“ Von Klasse kann allerdings keine Rede sein, denn Frauen, die darüber verfügen, machen um einen wie Hartmut Engler einen großen Bogen.

So banal er ist, hat Engler doch eins getickt: Mit nichts kommt man den Leuten so gut in die Gesäßtasche wie mit Tränen und Rührung; emotionale Betroffenheit, vor 15 Jahren vielleicht noch reserviert für die alternative Sorte Abzocker, ist längst ein Massenticket. Kein Wunder also, daß sich der Lebenshilfe-Onkel Engler auch das Thema Mißbrauch krallt – ist es doch wie kein anderes geeignet, die Kundschaft zu einen, und sei es zu einem Haufen von Todesstrafe- Fans. Wenn es um Kindesmißbrauch geht, ist es eben nicht nur erlaubt, sondern im Gegenteil Pflicht, so daherzureden, wie Bild- Zeitung schreibt. „Es reicht! Wir drücken kein Auge mehr zu!“ heißt der Kopf-ab!-Leitartikel in der Version von Pur.

Daß Pur sind, was sie sind, die Höchststrafe nämlich, erklärt auch ihre spezifische Attraktivität für Sponsoren wie das hessische Licher-Bier, dem Pur auch eine Werbespot-Musik schrieb: „Endlich ich!“ Bitte nein – wenn Hartmut Engler zu sich selbst kommt, möchte man nicht in der Nähe sein.

Auch zugunsten des Beamtenheimstättenwerks sind Pur am Start – schließlich singen und klingen sie wie ein Bausparvertrag und sehen auch so aus. Ebenso passend ist der Sponsor Romika, dessen alte Schuhwerbung wie für Pur gemacht scheint: Reintreten und sich wohlfühlen. Und dabei an Hartmut Englers Fassung des Grundgesetzes denken: Eine Frisur findet nicht statt.

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