: "Die SPD besteht nicht nur aus Styling"
■ SPD-Fraktionschef Rudolf Scharping warnt seine Partei vor zu großer Siegesgewißheit und fordert die Grünen auf, Joschka Fischer zu folgen
taz: Herr Scharping, Sie haben sich fünf Wochen lang aus der Politik verabschiedet und eine Hepatitis auskuriert. Spüren Sie jetzt auch die Kraft des Neuen?
Rudolf Scharping: Ich war noch nie fünf Wochen aus der Politik raus. Es war eine sehr gute Erfahrung, keine Termine, kein Betrieb, dafür Zeit zum Nachdenken. Zum Parteitag bin ich gerne zurückgekommen, das war allerdings ein Riesenwechsel.
Was ging Ihnen durch den Kopf, als Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder bei Lichtstufe V und den Klängen von „Ready to go“ auf Sie und das Präsidium zuschritten?
Ich fand den Einmarsch der beiden zu lang, aber die Inszenierung war in Ordnung. Die SPD besteht ja nicht nur aus Styling, sondern aus politischen Werten und Zielen.
Die Juso-Vorsitzende Andrea Nahles klagt, der Parteitag sei undemokratisch gewesen.
Schade, daß Andrea nicht mitdiskutiert hat. Ich war auch nicht sonderlich glücklich, daß wir in zwei Stunden ein Programm zu beraten hatten. Das ist normalerweise eine viel zu knappe Zeit. Das ist nur verträglich, weil eine Reihe von Kongressen, Beratungen und ein ganzer Parteitag vorgeschaltet waren. Aber Wahlparteitage sind etwas Besonderes.
Früher zog mit der SPD die neue Zeit, neuerdings baut die SPD auf die Kraft des Neuen und strebt die neue Mitte an. Was ist denn nun das Neue an diesem Neuen?
Es ist immer schwierig, wenn Parteien auf gesellschaftliche Umbrüche reagieren und dabei neue Begriffe bilden. Die neue Mitte, das hat einen leisen Anklang an New Labour und übrigens auch an den Clinton-Wahlkampf.
Dieser Anklang ist doch auch gewollt.
Natürlich. Denn es bedeutet nicht nur eine begriffliche, sondern auch eine substantielle Annäherung. Es gibt zwei Traditionslinien in der SPD. Die eine ist eher etatistisch, die andere genossenschaftlich. Die eine betont eher den Staat, seine Regeln und Möglichkeiten, die andere eher den Bürger, sein Verantwortungsbewußtsein und seinen Leistungswillen. Die zweite Linie prägt das SPD- Wahlprogramm. Mir ist das sehr sympathisch. Ich bin ja noch ausgelacht worden, als ich in den achtziger Jahren in Rheinland-Pfalz zum ersten Mal einen Handwerkerkongreß organisierte. Dabei gehört das Handwerk zur SPD von ihren Anfängen an.
Gerhard Schröders neue Mitte ist also der gute alte Mittelstand?
Das sind die Selbständigen, die Handwerker, die wissenschaftlich- technische Intelligenz, Facharbeiter und Ingenieure, Leistungsträger...
Worin unterscheidet sich die neue Mitte der SPD denn von den Leistungsträgern der FDP, deren Leistung sich wieder lohnen müsse?
Wir sprechen jene Leistungsträger an, die einen politischen und moralischen Anspruch haben, das Bewußtsein von Rücksichtnahme und Solidarität. Also nicht Egoismus und Kaltherzigkeit, wie es von der Koalitionspolitik verkörpert wird.
Noch vor drei Jahren haben Sie und andere die SPD als eine lose gekoppelte Ansammlung unterschiedlicher sozialer Milieus charakterisiert. Stimmt das Krankheitsbild noch, oder hat die Schröder-Welle auch eine strukturell neue SPD hervorgespült?
Die SPD wird immer die politisch wichtigste und zugleich schwierigste Aufgabe haben. Wir sind die einzige Partei in Deutschland, die einen integrativen Anspruch hat. Er verbindet den Wunsch zur Lösung der drängenden Alltagsprobleme mit Fortschrittshoffnung und der Erwartung von Gerechtigkeit. Modernität und Wertebewußtsein gehören zusammen. Die SPD war immer dann erfolgreich, wenn sie diese Integration verkörperte.
Wurde der Stil der Auseinandersetzung in der SPD auch renoviert?
Der Stil ist nicht mehr so streitend, zerreißend und mit persönlichen Eitelkeiten verbunden, wie ich es früher erlebt habe.
1993 hat Lafontaine Schröder noch die Kanzlertauglichkeit abgesprochen, weil er in der SPD keine Harmonie herstellen könne.
Wir alle haben gelernt, zwar unter Umständen, die ich niemandem wünsche, aber gelernt: daß man nicht nur den Willen zum Erfolg haben muß, sondern daß dieser Erfolg nur gemeinsam erreicht werden kann.
Gibt es etwas, was der SPD den Sieg noch nehmen kann?
Eine zu große Siegesgewißheit wäre ganz falsch. Es sind noch fünf harte Monate. 1998 ist die Bundesrepublik fast fünfzig Jahre alt und so erwachsen, daß zum ersten Mal ein Regierungswechsel durch eine Wahl möglich wird. Das ist doch eine zukunftsweisende Hoffnung, oder?
Sie setzen auf die Grünen?
Die Grünen müssen einiges bei sich ändern. Je stärker sie in der Lage sind, dem politischen Kurs von Joschka Fischer zu folgen, um so besser für die Entwicklung der kommenden Monate. Im übrigen wird die Wahl entschieden zwischen Kohl und Schröder, zwischen SPD und CDU. Es geht um die Führung des Landes, nicht um Koalitionsgeplapper.
1994 wurde es in der SPD als Fehler angesehen, keine Koalitionsaussage zugunsten der Grünen gemacht zu haben. Wird dieser Fehler nun wiederholt?
Ich habe 1994 deutlich zu erkennen gegeben, daß ich mir eine Regierung mit den Grünen vorstellen kann.
Ihr damaliger Bundesgeschäftsführer Günter Verheugen hatte sich eine größere Deutlichkeit gewünscht.
Aber die Grünen waren nicht im Parlament, rot-grüne Regierungen in den Ländern waren die Ausnahme, und die SPD hatte karge 33,5 Prozent der Stimmen. Heute ist das anders. Die Grünen sind seit vier Jahren wieder im Bundestag, sie haben mehr Erfahrungen und mehr Verläßlichkeit – trotz der Dummheit ihrer zwei Beschlüsse zur Außenpolitik und zur Ökosteuer.
Wollen Sie eine Koalition mit den Grünen?
Die SPD hat nie Koalitionsaussagen beschlossen. Die Ablösung der alten Politik gelingt einer starken Sozialdemokratie. Dazu können die Grünen durchaus beitragen.
Als es der SPD schlechtging, prosperierten die Grünen. Jetzt, da die SPD blendend dasteht, geht es den Grünen schlecht. Anscheinend ist ein rot-grünes Bündnis doch nicht die Zugewinngemeinschaft, die sich die Strategen auf beiden Seiten erhofft haben.
Doch. 1994 hat die SPD 1,6 Millionen Menschen, das sind 2,9 Prozent, gewonnen, die Grünen haben 2,4 Prozent gewonnen. Das war bis dahin die einzige Wahl, bei der es beiden gelang, deutlich zuzulegen. Das bedeutet, wenn beide selbstbewußt ihren Weg gehen, können beide gewinnen. Mich ärgert an den aktuellen Positionen der Grünen zweierlei: Was sie zur Nato und den außenpolitischen Verpflichtungen beschlossen haben, ist nicht verantwortbar. Der Benzinpreis-Beschluß ist nicht nur pubertär, sondern auch dumm. Weil er der CDU ein Wahlkampfinstrument an die Hand gibt und die Grundgedanken der Entlastung der Arbeit und der Ressourcenschonung verschüttet.
Ist das der Grund, weshalb die SPD eine klare Aussage zur ökologischen Steuerreform vermeidet?
Der Eindruck ist falsch. Es gibt keinen Vorbehalt dagegen, die Lohnnebenkosten zu senken und im gleichen Umfang den Energieverbrauch zu belasten.
Das macht in Mark und Pfennig?
Ich verweise auf unseren Bundestagsantrag und die entsprechenden Beschlüsse des Vermittlungsausschusses. Danach wären Benzin um sechs Pfennig teurer geworden und die Lohnnebenkosten um mehrere Milliarden runtergegangen, zugunsten der Arbeitnehmer und der Arbeitsplätze.
Mehr ist auch von einer sozialdemokratischen Bundesregierung nicht zu erwarten?
Die Lohnnebenkosten werden weiter sinken, und dann schauen wir uns den Energieverbrauch insgesamt an. Es gibt eine Grenze, ab der europäisch gehandelt werden muß. Interview: Markus Franz,
Dieter Rulff
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