: Hellersdorf von innen heraus entwickeln
■ Anfangs umstritten, überzeugt das neue Zentrum heute auch einstige Kritiker – als Kompromiß zwischen der Weiterentwicklung der DDR-Moderne und der Konzentration städtischer Funktionen
Fast überall, wo in Berlin gebaut wird, entstehen mittlerweile neue Zentren. Zum Beispiel in Gropiusstadt. Mit 46.000 Quadratmetern Kauffläche sind die Gropiuspassagen („Erleben, einkaufen und genießen“) freilich eher Einkaufs- als Stadtteilzentrum. Für die Bewohner der Neuköllner Großsiedlung sind Einkaufen und soziale und kulturelle Treffpunkte wie am Bat- Yam-Platz am U-Bahnhof Lipschitzallee weiterhin räumlich voneinander getrennt. Von städtischer Mischung kann keine Rede sein.
In Hellersdorf, der jüngsten Berliner Großsiedlung, die zum Mauerfall noch im Bau war, wollte man eine funktionale Entmischung, wie sie die Westberliner Siedlungen bis heute kennzeichnet, von vornherein vermeiden. Die Chancen standen nicht schlecht, bot doch der komplexe Wohnungsbau der DDR mit seinen Dienstleistungs- und „Freßwürfeln“ selbst die Konzentration verschiedenster Nutzungen in der in einzelne Binnenzentren strukturierten Siedlungslandschaft.
Entsprechend skeptisch war der Ostberliner Stadtsoziologe und Planer, Bernd Hunger, als er von den Plänen des damaligen Bausenators Wolfgang Nagel (SPD) hörte, in Hellersdorf ein neues Stadtzentrum zu bauen. Das war eine deutliche Absage an die Weiterentwicklung der DDR-Moderne, da zu DDR-Zeiten auf den 31 Hektar Fläche nördlich des Hellersdorfer Grabens kein Stadtteilzentrum, sondern das letzte von 12 Binnenzentren geplant war, die allesamt im übrigen von verschiedenen DDR-Wohnungsbaukombinaten errichtet wurden. „Man kann von einer Stadtstruktur eigentlich verlangen, was in ihr nicht drinsteckt“, so lautete damals Hungers Kritik.
Heute kann Hunger der Entwicklung in Hellersdorf durchaus Positives abgewinnen. Das betrifft nicht nur die Anerkennung des komplexen DDR-Wohnungsbaus durch die Bauverwaltung und die mittlerweile über drei Milliarden Mark, die in die Sanierung der Berliner Plattenbauten geflossen sind. Auch das neue Zentrum nach dem Entwurf der Architekten Andreas Brandt und Rudolph Böttcher habe sich, entgegen aller Befürchtungen, in die städtebauliche Struktur eingefügt.
Vor allem der Bau zweier großer Einkaufszentren im nördlich angrenzenden brandenburgischen Eiche und im Süden von Hellersdorf war es, der Hunger, der seit 1993 im Auftrag der Bauverwaltung an der Rahmenplanung für den Bezirk arbeitet, zum Pragmatiker werden ließ. Gleichwohl besteht auch Hunger auf der perspektivischen Eigenart der Großsiedlungen. Wer Hellersdorf über die Hauptverkehrsstraßen oder die U-Bahn kennenlerne, könne die städtebauliche Eigenart einer Stadtlandschaft nicht erkennen. Die erschließe sich erst, wenn man sich das Gebiet aus der Binnensicht, der Perspektive der Bewohner, aneigne.
Eine dieser Binnenperspektiven ist der „Boulevard“ Kastanienallee südlich des S-Bahngrabens. Nach dem Bau der Hellen Mitte herrscht unter den Einzelhändlern ähnlich wie in der Tangermünder Straße nordöstlich des neuen Zentrums Katzenjammer. Hier wurden zu Beginn der Planungen Fehler gemacht, kritisiert Hunger. „Die Tangermünder Straße und die Kastanienallee wurden städtebaulich von der Hellen Mitte abgehängt.“ Ob die beiden Straßen – etwa als gastronomische Zentren – eine Ergänzung zum neuen Stadtzentrum bieten könnten, weiß auch Hunger nicht. „Ich zweifle, ob es da Bedarf gibt.“
Auch weitere Probleme nennt Hunger, etwa die fehlende Anbindung der Hellen Mitte zum historischen „Gut Hellersdorf“ oder die großen Verkehrsschneisen, die sich noch immer als „Imagekiller“ erweisen. Mit ein paar Blockrandakzenten sei gerade letzterem aber nicht beizukommen.
Dennoch ist der Planer fest vom Erfolg des Hellersdorfer Modells, diesem, im Vergleich zu Marzahn, „positiven Ausreißer“, überzeugt. Dies betreffe nicht nur die Identität des Ortes, die aufgrund des Grünzugs Hellersdorfer Graben und der U-Bahn weitaus lesbarer sei als im Nachbarbezirk. Auch die städtebaulichen Leitbilder – Wohnen im Grünen oder östlicher Auftakt Berlins mit Großstadtqualität – seien hier konsequenter umgesetzt. Woran das liegt? Hunger spricht von einer Planung, an der alle am Tisch sitzen, und auch dem „ganzheitlichen Denken“ der Wohnungsbaugesellschaft, die in Zusammenarbeit mit einem Quartierskonzept des Planers Urs Kohlbrenner ebenfalls versucht habe, „das Gebiet von innen heraus zu entwickeln“.
Aber auch von außen macht die Großsiedlung inzwischen etwas her. Zwar wird man beim „Wohnen im Grünen“ in Hellersdorf auch künftig nicht „um das eigene Haus herumgehen können“. Nach der Umsetzung des neuen Fuß- und Radwegesystems kann man inzwischen ganz Hellersdorf auf eigens hergerichteten Wegen umradeln. Zumindest davon kann man in Gropiusstadt, auch wenn sie inzwischen das größte Einkaufszentrum Berlins besitzt, noch lange träumen. Uwe Rada
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen