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In Oshos Garten mit Blick nach innen

In Poona ist auch nach dem Tod des Meisters die Hölle los: Globetrotter, aber auch Lehrer, Architekten, Designer wollen hier für ein paar Tage im Jahr ihre Visionen ausleben. Manche lassen sich ohne Probleme in die siebziger Jahre zurückbeamen  ■ Von Jeannette Goddard

Müde sieht er aus. 18 Monate unterwegs haben einen anderen Menschen aus ihm gemacht. So lange ist es her, da er seine sichere Stellung als Buchhalter in einer kleinen Stadt in Süddeutschland gekündigt hat, „aus Gründen, die ich so schnell gar nicht erzählen kann. Aber mit dem Job hatte es am allerwenigsten zu tun.“ 31 Länder hat er bereist, war in Fidschi, Vanuatu, Neuseeland und Tibet. Am Ende war er so durcheinander, daß er kaum noch merkte, wo er war. Zuletzt ist er zwei Monate durch den Himalaya gewandert, um endlich mal wieder zur Ruhe zu kommen.

Jetzt sitzt er in der German Bakery, schlürft einen Cappuchino, denkt über ein Stück Bienenstich nach und wartet auf das Ergebnis seines HIV-Tests. Auch Indien hat er schon wieder hinter sich gelassen – selbst wenn er mittendrin ist. Harald sitzt in Poona – einer 2,7-Millionen-Stadt südwestlich von Bombay, die auch in Europa jeder kennt, nur, weil hier ein einziger Mann gelebt hat: Bhagwan. Shree Rajneesh alias Osho.

Nur dreihundert Meter vom Osho Ashram entfernt hat ein findiger Geschäftsmann die German Bakery eröffnet. Kein einziger Inder sitzt hier. Statt dessen befriedigen zu jeder Tageszeit bis zu fünfzig Weiße ihren Bedarf an westlicher Backkunst. Fast alle tragen rote Roben, nur wenige lehnen die bodenlange Kutte ab und lassen sich ersatzweise auf eine dunkelrote Jeans und Jeansjacke ein.

Auch Harald hat gerade einem der zahlreichen fliegenden Händler auf der Straße eine rote Robe abgekauft – und eine weiße für die abendliche Meditation. So hat Osho es gewollt. Und er ist glücklich, einmal mit jemandem zu reden, der nicht nur wissen will, wo es die billigsten Hotels gibt. „Die Leute reisen alle nur vor sich selber fort“, sagt er, „ich will endlich mal wieder Nähe spüren, mich mal wieder intensiv mit irgend etwas beschäftigen.“ Diese Nähe, so hofft er, findet er hier und vielleicht noch ein bißchen mehr: „Etwas über mich selber.“ Zu Hause habe er nie viel mit Sannyasins zu tun gehabt, aber „interessiert hat es mich schon“. Außerdem habe er sich seit Jahren mit Esoterik beschäftigt. „Es muß doch noch andere Dimensionen geben.“

Harald ist nicht unbedingt ein typischer Vertreter der Ashram- Besucher – aber auch kein untypischer. Hier trifft sich so ziemlich alles, was man als unbedarfter Besucher in einer Bhagwan-Kommune erwarten würde – oder auch nicht. Hier sitzt der Münchener Bewohner einer Wagenburg, der dem traditionellen Kleinfamilienkonzept schon in den siebziger Jahren abgeschworen hat, mehrere frustrierende Kommunenexperimente bewältigte und seit 19 Jahren mehrere Monate im Jahr im Ashram verbringt. Zwischendrin hat er auch schon mal drei Jahre am Stück in Goa gelebt – „damals, als es da noch friedlich war“. Den Sannyasins in Deutschland hat er schon wieder abgeschworen, nur den Namen hat er behalten: Shikktar.

Shikktar ist einer derer, deren Anblick einen traurig stimmt, weil so offensichtlich ist, daß er sich nie mehr irgendwo niederlassen können wird – in Deutschland nicht, in Indien nicht. Die 20jährige Australierin hingegen ist einfach nur neugierig und wollte schon immer mal meditieren. Ein paar Tage Ruhe, Luxus und Selbsterfahrung will sich der 30jährige Franzose gönnen, bevor er sich ins Partyleben am Strand von Goa stürzt. Und viele, die inzwischen ihren „weltlichen“ Weg gehen – als Architekten, Lehrer oder Designer –, aber immer noch für ein paar Wochen im Jahr ihre Vision ausleben, es ginge vielleicht doch anders und es ließe sich vielleicht doch von Liebe allein leben. Man kann es auch anders formulieren: In Poona ist die Hölle los, und wer bei der Ankunft in Bombay oder Delhi keinen Kulturschock bekommt, den erwischt es spätestens hier: Zweieinhalbtausend überwiegend Weiße, unter ihnen zahlreiche, die einen unweigerlich in die goldenen Siebziger auf den Flokatiteppich zurückbeamen, gehen hier täglich ein und aus. Zu Hochzeiten – vor allem rund um Weihnachten – sind es 4.000.

Mitten in einem Villenvorort der indischen Stadt, in die traditionell die reichen Bewohner Bombays vor dem Smog flüchten, ließ sich in den siebziger Jahren Osho mit seinen Jüngern nieder: Auf schlammigem Boden errichteten sie nicht nur den Ashram, der in seiner luftigen Architektur ein bißchen an das Münchener Olympiastadion erinnert, sondern legten auch einen der nobelsten Gärten Indiens an: ein Paradies für meditative Momente – wenn auch nicht für jeden: Inder haben hier nur zu bestimmten Tageszeiten Zutritt.

Acht Jahre nach Oshos Tod wird gebaut wie nie zuvor. Zu dem bisherigen Gelände, das bereits über eine riesige „Buddha Hall“, ein High-Tech-Info-Zentrum, Swimmingpool, Sauna und Tennisplätze verfügt, soll sich eine weitere Meditationshalle für 10.000 Leute gesellen. Auch das erste Ashram-eigene Hotel ist im Bau. Bisher muß sich noch jeder, der hierherkommt, in der Stadt ein Zimmer suchen.

Das Leben im Ashram beginnt um sechs Uhr früh mit einer „dynamischen Meditation“, zu der nur die wenigsten erscheinen. Richtig voll wird es erst so gegen Mittag. Viele der Besucher verschwinden aber ohnehin unmittelbar nach ihrer Ankunft in einen der zahlreichen Kurse – für die Kommune die Haupteinnahmequelle: von Aikido bis Zen wird hier so ziemlich alles angeboten. Hoch im Kurs stehen vor allem Veranstaltungen, die mehr dem New Age als indischer Traditionen entsprungen sind: Gibberish – Sprechen ohne Sprache in einem unterirdischen Raum mit Matratzen an den Wänden, sogenannte „Todesmeditationen“ oder Anti-Fischer-Hoffmann- Kurse, bei denen der Ehrgeiz, der in der Managerschulung mühsam aufgebaut wurde, wieder demontiert werden soll.

Um religiösen Nachwuchs hat Osho, der 1985 nur unfreiwillig aus seinem Luxusleben in Oregon nach Indien zurückkehrte (er wurde deportiert), sich nicht gekümmert: Der einzige Guru in Poona ist er selbst. Jeden Abend wird er auf der Leinwand wieder lebendig. Dann kommt die versammelte Gemeinde in der „Buddha Hall“ zusammen – ganz in Weiß, der Farbe der Aufklärung. Nach der Videoshow wird der meditative Teil des Tages mit einem dreifachen „Osho“ beendet.

Geleitet wird der Ashram von einem etwa 20köpfigen Kollektiv, das größtenteils ehrenamtlich arbeitet und sich schlicht um die Verwaltung des florierenden Unternehmens kümmert. „Im Sommer lebe ich in London“, erzählt einer der Führer, der vor allem neugierige Inder durch das Camp führt, „aber das hier ist der interessantere Teil meines Lebens. Ich war dabei, als Osho starb“, erinnert er sich, „er sagte, tragt mich zum Fluß, ich werde gleich sterben. Als wir ihn verbrannten, war mir klar, daß sein Werk fortgeführt werden mußte.“ Fragt man ihn, warum, antwortet er mit nur einem Wort: „Love“. Liebe zu Osho, aber vor allem: Liebe als Konzept, als oberstes, allumfassendes Ziel.

Der Bedarf an dieser simplen Philosopie – die über die vielzitierte „freie Liebe“ allerdings hinausgeht – ist acht Jahre nach Oshos Tod größer denn je: Der Verkauf seiner zahllosen Bücher – überwiegend aufgeschriebene Unterhaltungen mit seinen Anhängern – hat sich seitdem verachtfacht; nach Angaben der Verleger gehen jährlich zweieinhalb Millionen Bücher, Cassetten und Videos über den Ladentisch.

Längst sind Oshos Werke auch in Serbokroatisch, Russisch und Dänisch erhältlich. Die Inhaber der Verkaufsrechte von „Osho International“ zogen nach nur vier Jahren ihres Bestehens in das 46. Stockwerk eines Wolkenkratzers in Midtown Manhattan. All das steht in seltsamem Widerspruch zu der Tatsache, daß Bhagwan-Kommunen in Westeuropa seit Jahren im Niedergang begriffen sind.

Daß „Osho“ nicht nur Spiritualität, sondern auch ein riesengroßes Geschäft ist, ist in Poona kein Thema, und der tägliche Eintrittspreis von gerade einmal vier Mark kann auch leicht darüber hinwegtäuschen. Und angesichts der horrenden Preise der europäischen Esoterik-Szene sind selbst die wochenlangen Kurse bezahlbar.

Statt über die materialistische Welt brütet man in Oshos Garden mit Blick auf seine Büste über innere Werte: über den jüngsten „Beziehungsvertrag“, die Frage, ob es denn diesmal klappen werde, den Sinn von Musik und Kunst und den Klang der Bäume. Und über die „Touristen“, über die man sich hier genauso ärgert wie anderswo auch: Täglich stehen indische Reisegruppen vor der Tür und staunen über die bizarren Weißen in Rot.

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