piwik no script img

Arbeitslos, jung, weiblich – und kein Kredit

■ Hamburger Gründertage: Banken machen es Existenzgründungswilligen nicht leichter

16.700 neue Selbständige, so jubelt die staatliche Hamburger Initiative für Existenzgründungen (H.E.I.), hat Hamburg 1997 zählen dürfen. Auch zu den 3. Hamburger Gründertagen von Donnerstag bis Sonnabend in der Handelskammer strömten folglich die Massen. „Sehr zufrieden“von Qualität und Quantität des Andrangs zeigte sich deshalb Kammervertreter Jörn Schüßler. Offenkundig habe sich die Option auf Existenzgründung inzwischen als „Selbstverständlichkeit“etabliert.

Auf dem engen Gründertage-Parcours kämpften sich die oft sehr jungen Nachwuchsbosse durch Broschürenberge und die geballte Beratungskompetenz von Banken, Behörden, Verbänden, Hochschulen und Beratungsinstitutionen. Die Zielgruppe ist arbeitslos, jung, weiblich und in Sachen Umweltdienstleistung engagiert, wie zum Beispiel die Jungunternehmerin Ulrike Meyer. Ihre Firma „Umweltkonzept“, spezialisiert auf Bodenuntersuchungen, schmückt denn auch als eines von 30 erfolgreichen „Gründerbeispielen“die aktuelle Broschüre des Bundeswirtschaftsministeriums. Ulrike Meyer war arbeitslos, besuchte vor Jahren die Berliner „Gründertage“und hat es jetzt geschafft. Wirtschaftswunderland Deutschland?

Unternehmensberater Wolfram Müller, Vizechef des Hamburger Bundes der Selbständigen, schüttelt da nur müde das Haupt. Zwar sei eine Veranstaltung wie die Gründertage „besser als nichts“, doch noch immer sei der Weg zur Selbständigkeit mit nur schwer überwindbaren Fallen gespickt. Ein totales Durcheinander staatlicher Förderprogramme (mehr als 800), hochkomplizierte Richtlinien zur Berechnung erlaubter Förderungen, eine Fülle nicht immer sehr seriöser Beratungsangebote und ein oftmals kaum durchschaubares Genehmigungswirrwarr (bis zu neun unterschiedliche behördliche Genehmigungen können erforderlich sein) machen angehenden ChefInnen das Leben schwer.

Effektivster Existenzgründungskiller aber sind die Banken, denn ExistenzgründerInnen brauchen zuviel Beratung und zuwenig Geld. Bei einem Beratungsaufwand zwischen 3000 und 6000 Mark, so die internen Kalkulationen, lohnt sich der Kunde erst, wenn er sich mit 300.000 bis 600.000 Mark verschuldet. Ironisch mutet da an, daß die Banken auch für die Beantragung öffentlicher Eigenkapitalhilfen und Billigkredite zuständig sind, die bis zu 80 Prozent des Gründungskapitals abdecken können. Diese aber schmälern das potentielle Kreditvolumen der Banken. Das Ergebnis: Sie weisen Existenzgründer gern die Tür, raten ihnen aber zumindest von der Inanspruchnahme öffentlicher Hilfen ab. Nur gut 600 Existenzgründer von 16.700 bedienen sich in Hamburg pro Jahr bei den attraktiven staatlichen Programmen (Eigenkapitalhilfe, ERP-Mittel, Hilfe der Deutschen Ausgleichsbank, Hamburger Mittelstandsförderung).

Statt dessen machen die Banken das Geschäft: Auch Ulrike Meyer ließ sich von ihrer Hausbank einen 110.000-Mark-Kredit aufschwatzen. Öffentliche Hilfen nahm sie nicht in Anspruch. Florian Marten

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen