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Briefbomben gegen Peter Radunski

■ Der „rotierende Protest“ der Studierenden erreicht diese Woche Berlin. Doch die Basis ist den Aktivisten schon längst weggebrochen

Die Studierenden von heute haben in wenigen Monaten geschafft, wozu die 68er dreißig Jahre brauchten. Sie haben ihren Protest in einen Mythos verwandelt und üben sich in verklärender Rückschau. „Die meisten sind ziemlich müde“, klagt HU-Student Michael Graf, „momentan herrschen Nostalgie und Resignation“. Ganz im Zeichen des Streikwinters steht auch die Aktionswoche, die heute beginnt. Mit ihr soll der Kreisel des rotierenden Protests, der sich seit dem studentischen Basiskongreß „Bildung und Gesellschaft“ mehr oder weniger spürbar durch die Republik dreht, zum ersten Mal Berlin erreichen.

Wie aussichtslos es ist, einen spontanen Protest wochenweise ein- und auszuknipsen wie eine Nachttischlampe, das wissen die Organisatoren spätestens seit einer berlinweiten Vollversammlung mit nur rund 200 Teilnehmern in der vergangenen Woche. An einem Streik wollen sie sich gar nicht erst versuchen, denn ein solcher Ausstand sei „bis jetzt immer plötzlich aufgeflammt“, weiß TU- Studentin Stephanie Rutkowski. Statt dessen planen sie heute abend einen Videoabend an der Technischen Universität (TU), der „die Erinnerung an den Streik wiederbeleben“ soll. Gleichzeitig diskutiert die Arbeitsgruppe „Demokratisierung“ an der Humboldt- Universität (HU) die Frage: „Wollt ihr die Macht?“

Ein Aktionstag zum Semesterticket am Dienstag, ein studentischer Block bei der Gewerkschaftsdemo am 1. Mai und eine „offene Bühne“ der HdK am Samstag in der Hasenheide sollen folgen. Zum Auftakt laden die Aktivisten heute um 10 Uhr zum „Informationsfrühstück“ vor das Audimax der HU. Die Freie Universität (FU) beteiligt sich an der Aktionswoche nicht. „Von der FU war überhaupt selten die Rede beim Streik“, meint Graf.

Ein Ansteigen der Spannungskurve versprach Graf mit der Ankündigung, die „bisherigen Protestformen“ hätten wenig bewirkt und müßten „radikalisiert“ werden. Die Studierenden wollten daher die RAF wiederbeleben, Briefbomben an den Berliner Wissenschaftssenator und den Bonner „Zukunftsminister“ versenden sowie Abgeordnetenhaus, Rotes Rathaus und Börse besetzen. Auf die Frage, mit wie vielen Toten er rechne, mußte Graf die Erwartungen jedoch enttäuschen. Er habe „nur einen Spaß“ gemacht.

Von den Niederungen der Berliner Hochschulpolitik hingegen wird diese Woche kaum die Rede sein. Daß die Unis das Senatsversprechen der 85.000 Studienplätze nicht halten können, daß der Wissenschaftsausschuß des Abgeordnetenhauses just heute über „Reformen an den Universitäten“ debattiert – es scheint die Betroffenen kaum zu interessieren.

Im HU-Foyer haben die Fotografen Holger Kulick und Michael Grasmann unterdessen Bilder aus dem Streikwinter ausgestellt. Kulick hat seine „unscharfen Bilder von scharfem Protest“ zu langen Streifen gereiht und zwischen die Säulen aus dem Marmor der Reichskanzlei gespannt. Auf gelbem Karton erläutern kurze Texte die Ereignisse im Duktus historischer Bedeutsamkeit.

Die Bilder rufen noch einmal all jene „Aktionen“ der „98er“ in Erinnerung, die eine breite Öffentlichkeit zunächst als originell, am Ende immer mehr als ermüdend empfand. Da verhüllen die Studierenden Denkmäler, weil die Unis nur noch „einpacken“ könnten, oder sie schleppen einen Sarg durch die Stadt, weil die Politik „die Bildung beerdigt“. Sie werfen Eier auf den Wissenschaftssenator und kehren ihm den Rücken zu. Beim Besuch der Ausstellung juchzen sie aber am lautesten, wenn sie sich selbst auf den Bildern erkennen – nicht anders als die 68er, die ihr eigenes Gruppenbild auf die Titelseite der Oster-taz setzten. Ralph Bollmann

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