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Überall ist Schwabenland

Auch in der Alsterdorfer Sporthalle, wo das Pop-Phänomen Pur das erste von drei ausverkauften Konzerten in Hamburg gab  ■ Von Arne Willander

Der Mann ist ein Volkstribun. Er sieht aus wie ein Normalo – wenn er nicht gerade eines seiner Fantasie-Kostüme anhat. Und jeder glaubt ihn zu verstehen – auch wenn man eigentlich nie genau weiß, wovon seine Lieder handeln. Hartmut Engler ist in Hamburg, mit seinen musizierenden Freunden aus Bietigheim-Bissingen hält er in der Sporthalle den Pur-Kongreß 1998 ab, und zwar unter dem geradezu raffiniert-mehrdeutigen Motto „Mächtig viel Theater“. Ja, so sind die Herren von Pur, die uns mitteilen wollen: Erstens, wir sind uns der Absurdität unserer Star-Existenz bewußt; zweitens, wir alle leben in gauklerischen Zeiten; und drittens und wichtigstens, im Grunde wollen wir gar nichts.

In der Sporthalle wurde das einmal mehr klar. Da gaben sie am Sonntag ihr erstes von drei ausverkauften Hamburger Konzerten. Quasi als Ouvertüre zum großen sommerlichen Fan-Treffen auf der Trabrennbahn in Bahrenfeld.

Und wie war das in der Sporthalle? Wie immer, natürlich. 7000 Menschen in einer Halle, alle glücklich. Kein Wunder, Pur spielten drei Stunden, und das Hirn wurde auf ihr Geheiß mal wieder an der Garderobe abgegeben: „Der Eintritt kostet deinen Verstand“, sang Engler auch an diesem Abend. Gaga, aber völlig ungefährlich.

Wie bei allen Phänomenen des Kalibers Pur bleibt ihre Existenz ein geheimnisloses Geheimnis. Bestenfalls spiegelt der fönfrisierte Germanist Engler in seinen Liedern die Sehnsucht nach diffuser Tröstung, das knieweiche Ressentiment der Modernisierungsverlierer, die von der Wirklichkeit überfordert sind, den Politikern mißtrauen und deshalb gleich ins schöne Abenteuerland wollen. Diese Platte ist, kaum verwunderlich, das bestverkaufte deutschsprachige Album überhaupt.

Pur sind alles andere als aufregend – Leisetreter sind sie deshalb nicht. Ganz im Zeichen des Theaters verfeuerten sie auch am Sonntag Pyrotechnik wie beim chinesischen Jahreswechsel. Goldregen stob aus den Kanonen, alle paar Songs donnerte irgendein Feuerwerk los. Dazu passend die Videowand, die bei Bedarf wie der Gott aus der Maschine erschien, um die unvermeidlichen „Privatbilder“der drögen Musiker zu liefern. Dabei wartete man immerzu darauf, daß Engler wie du und ich im heimischen Garten den Grill anwirft und Würstchen wendet.

Kein Problem für einen Mann, der am liebsten mit jedem einzelnen Fan ein Bier trinken würde, um ihm zu versichern, daß es in Ordnung ist, kein Intellektueller zu sein oder gar arbeitslos. Pur wienern so den Technik-Folgen hinterher und vermitteln der Gemeinde, überall sei Schwabenland. Mit „La le lu“, der letzten von ungezählten Zugaben, sind sie endgültig beim Kleine-Leute-Schwachsinn des großen Ruhigstellers Heinz Rühmann angelangt.

Geweint vor Glück. Wie Engler sagen würde.

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