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Geschicklichkeitslauf mit viel Geschmack

■ Heute vor 100 Jahren wurde die Wiener Secession von abtrünnigen Künstlern im Umfeld von Gustav Klimt gegründet. Der „Tempel der anarchischen Kunstbewegung“ zieht nun Bilanz

„Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit“. In goldfarbenen Lettern strukturiert das Motto noch immer den schlichten Frontispitz der Wiener Secession, auch liebevoll „Tempel der Laubfrösche“ genannt. Heute ziert das zum Slogan mutierte Anliegen vornehmlich im Souvenirshop vertriebene Artikel.

Wie ihr Pendant in München (und später jene in Berlin, Leipzig, Darmstadt und Dresden) war die Wiener Secession in erster Linie ein Zusammenschluß von Künstlern, die sich von einem bereits bestehenden Künstlerverband lösten, weil sie mit dessen Konventionen nicht länger konform gingen. Der einzigartige Charakter der Wiener Secession besteht noch heute darin, daß sie im Verhältnis zu anderen Kunstvereinen oder Kunsthallen die älteste Institution mit selbstorganisierter Führung ist. Gemäß den Statuten muß jedes Mitglied der Vereinigung als bildender Künstler tätig sein.

1897 spaltete sich eine Gruppe um Gustav Klimt und Josef Hoffmann von der „Genossenschaft der bildenden Künstler im Künstlerhaus Wien“ ab und gründete die „Vereinigung bildender Künstler Wiener Secession“. 1898 fand ihre erste Ausstellung in der k. u. k. Gartenbaugesellschaft statt. Mit deren Erlös, aber auch mit der Hilfe einiger Mäzene, allen voran der Großindustrielle Karl Wittgenstein, errichtete man noch im gleichen Jahr ein eigenes Gebäude. Die Voraussetzungen für eine unabhängige und freie künstlerische Entfaltung waren geschaffen.

Die Grundsteinlegung für das Secessionsgebäude im Windschatten der Akademie der bildenden Künste an der linken Wienzeile fand am 28. April 1898 statt. Ende November war der „Tempel der anarchischen Kunstbewegung“ nach Plänen des jungen Joseph Maria Olbrich, damals noch Mitarbeiter von Otto Wagner, fertig. Der weiße Zentralbau mit der goldenen Kuppel aus 3.000 Lorbeerblättern und 700 Beeren wurde zum architektonisch vielleicht wichtigsten Beleg des Wiener Jugendstils, obwohl der Bau von den Wienern angefeindet wurde und ursprünglich als Provisorium angelegt war.

Heute ärgern sich die Wiener über den fleckigen, dreckigroten Sparanstrich, den das Gebäude bis zur Generalsanierung im Juni trägt. Das rote Kleid stammt von dem Künstler Markus Geiger, der vor nicht langer Zeit mit einer Pudelmütze auf sich aufmerksam machte, die er dem „Krauthappi“ übergezogen hatte.

Geigers Eingriff gehört zur Ausstellung „Das Jahrhundert der künstlerischen Freiheit“, mit der die Secession ihr Jubiläum feiert. Sie zeigt über 200 Werke von 130 Künstlern, die schon einmal im Haus ausstellen konnten. Die Anzahl der Exponate ist im Verhältnis zur Präsentationsfläche von 1.000 Quadratmetern keine geringe, die Auswahl angesichts der rege bespielten Stätte mehr als klein. Außerdem steht die Secession vor dem Problem, Zeugnisse einer Zeit darstellen zu müssen, in der der Umfang künstlerischer Medien eher zu- als abnahm. Die Auswahlkriterien der hängenden oder arrangierten Werke bleiben jedenfalls fragwürdig.

Dennoch gibt sich die Konzeption des Wiener Wahlfranzosen Robert Fleck geheimnisvoll und versperrt sich jeder Antwort. In einer Art Geschicklichkeitslauf tritt man in die von Franz West gestalteten Farbparzellen, die zum Teil sehr geschmackvoll die formale Pracht der ausgestellten Segatini, Léger oder Matisse unterstreichen. Andere Bereiche zeigen fotografische Dokumente zu Malerei oder Skulpturen, wie etwa Henri Cartier-Bressons Aufnahmen, die er 1955 während der Eröffnung der Kokoschka-Schau machte.

Diverse Modelle vergangener Ausstellungen, die im Obergeschoß oder im Katalog zu sehen sind, helfen dagegen schon eher, die etwas ratlos im Hauptraum betrachteten Kunstwerke einzuordnen, so etwa die 1988 von Joseph Kosuth eingerichtete Ausstellung „Das Spiel des Unsagbaren“, eine Hommage an Wittgenstein und concept art, oder die flächeneinnehmenden „Wall Drawings“ von Sol LeWitt aus dem Jahr 1988. Das Gros der Exponate, ihre Beziehungen zueinander oder ihre Gegenüberstellungen bleiben dem Publikum trotz kurzer Erläuterungen an den Wänden allerdings verborgen.

Das gilt auch für die Vertreter der Gegenwartskunst. Besonders stolz wird man auf die zahlreichen auf der letzten documenta vertretenen Secessionsmitglieder hingewiesen, die auch in der Ausstellung ein Feld bedecken. Von Carsten Höller ist deshalb ein mit Glühbirnen besetztes Rad montiert, und Martin Walde zeigt daneben bearbeitete Fotografien von Straßenszenen, auf denen sich viele Leuchtpunkte spiegeln.

Komplette Ratlosigkeit erfährt man dann im Keller. Dort, wo normalerweise der in die Jahre gekommene Beethovenfries vor sich hinträumt, hat Jason Rhoades eine Spielhallen-Installation aufgebaut. Achtzehn amerikanische Videogames flimmern stündlich über Monitore, flüchtig auf der Suche nach einer Entsprechung zum Environment. Anja Helmbrecht

Die Ausstellung ist bis zum 21. Juni in Wien zu sehen. Katalog im Prestel-Verlag, 350 öS. Anschließend wird die Ausstellung im Prager Rudolphinum gezeigt.

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