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Doña Merceditas' Glück und Pech

■ Eine Lesereihe zeugt vom Fehlen literarischer Infrastrukturen und Aufbrüchen zu neuen Erzählformen im postrevolutionären Nicaragua

Daniel Pulido mag Geschichten, die ins Aberwitzige hinüberspielen. Seine Erzählung „Die Schweißreliquien der Doña Merceditas“ ist hierfür bestes Beispiel. Die Heldin, eine fliegende Händlerin aus León, hat Glück gehabt: Als erste Nicaraguanerin konnte sie „die jährliche vergebene ,goldene Schweißmedaille‘“ gewinnen. Doch Doña Merceditas hat auch Pech gehabt: Wie andere vor ihr hat sie sich während des Wettbewerbs, bei dem „Geschmack, Intensität, Penetranz, Dauerwirkung, Viskosität und Farbe“ des Schweißes prämiert werden, so verausgabt, daß sie „abgefüllt in siebenundzwanzig hermetisch versiegelte Plastikkanister“ in ihre Heimatstadt zurückkehrt. Dort bereiten ihr lokale wie nationale Würdenträger einen Empfang. Nur heimlich rümpfen sie die Nase angesichts der „starken Ausdünstungen“, die vom einfachen Volk herüberwehen.

Gemeinsam mit Leonel Delgado eröffnete der 42jährige Pulido am Dienstag die Lesereihe „Neue Literatur aus Nicaragua. Feuerlinien – Postrevolutionäre Prosa“, die noch bis heute in der Pankower Literaturwerkstatt stattfindet. Deutlich wurde an dem Auftaktabend vor allem eines: Wer in Nicaragua Literatur schreiben, verlegen und eine Leserschaft finden will, dem geht es ein wenig wie Doña Merceditas. Er muß sich schon sehr verausgaben, um überhaupt bemerkt zu werden. Fast zehn Jahre nach dem Scheitern der Sandinisten, lange nach der Euphorie, die die Alphabetisierungskampagnen oder die Dichterschulen eines Ernesto Cardenal hervorriefen, ist es um das literarische Leben in dem mittelamerikanischen Land nicht gut bestellt. Bildung kostet wieder, die Analphabetenrate steigt, öffentliche Bibliotheken sind dünn gesät und Bücher nicht gerade billig zu erwerben. Die Aushängeschilder der sandinistischen Revolution, die großen Verlagshäuser Nueva Nicaragua und Vanguardia, sind eingegangen, kleine Verlage haben es naturgemäß schwer, Publikationsmöglichkeiten finden sich wenn überhaupt in unregelmäßig erscheinenden Zeitschriften wie Artefacto,El angel pobre und 400 elefantes, seltener in den Wochenendbeilagen der Tageszeitungen. Dennoch entsteht eine neue Literatur, eine Literatur, die Abschied nimmt von den Vorgaben der 80er Jahre, die neue Formen des Erzählens für sich entdeckt und sich endgültig von dem Anspruch gelöst hat, identitätsstiftend zu wirken.

Diese Verschiebungen will die Lesereihe in der Literaturwerkstatt anschaulich machen. Die Texte, allesamt kurze Prosaarbeiten, betreiben bald spielerische Selbstreflexion (Pulidos „Märchen einer Erzählung“), bald ergehen sie sich in einem Netz intertextueller Bezüge (Delgados „Road Movie“), bald schildern sie schlaglichtartig Alltag und Armut (Marisela Quintanas „Fünf trostlose Geschichten... und eine auf Bestellung“), ohne dabei nach falschem Mitleid zu rufen. Eine Frau, die um ihre Rente ansteht, ein Bettler, der Geschichten zu verkaufen sucht, ein Arbeitsloser, der auf ein Bewerbungsgespräch wartet: Das ist das Personal von Quintanas Texten, deren Sprache so genau wie unspektakulär daherkommt.

Das sandinistische Projekt, in den 80er Jahren zentrales Sujet der literarischen Produktion, wird in den Arbeiten der jüngeren Autoren ebenfalls verhandelt – mag der Blick inzwischen auch kritischer geworden sein. In den Texten Juan Sobalvarros, heute abend gemeinsam mit Franz Galich auf dem Podium, spielen Bürgerkrieg und Gewalterfahrungen eine große Rolle. Dabei gelingt es dem 1966 geborenen Sobalvarro, Mitbegründer von 400 elefantes und im Brotberuf Kulturredakteur bei der Zeitung La Tribuna, ein ums andere Mal, die weit verbreitete Legende vom heldenhaften Befreiungskampf zu brechen. Cristina Nord

„Neue Literatur aus Nicaragua. Feuerlinien – Postrevolutionäre Prosa“. Heute, 20 Uhr, Literaturwerkstatt Berlin, Majakowskiring 46–48, Pankow

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