: Südafrikas ANC räumt auf mit weißen Privilegien
■ „Affirmative action“ soll nach den Wahlen 1999 Schwarze zuhauf in den Staatsdienst holen
Johannesburg (taz) – In Südafrikas Amtsstuben soll künftig ein rauher Wind wehen. Abteilungsleitern und anderen leitenden Beamten, die sich nicht an die neuen Richtlinien der Regierung für sogenannte „affirmative action“ halten, droht die Entlassung. So steht es in einem ersten Gesetzentwurf für den öffentlichen Dienst, der am Dienstag vorgestellt wurde und jetzt in Südafrika für erhebliche Aufregung sorgt.
Ab dem Jahr 2000 müssen alle Behörden nachweisen, daß sie ihre Führungsposten mindestens zu 50 Prozent mit Schwarzen (derzeit 33 Prozent), mindestens zu 30 Prozent mit Frauen und zu 2 Prozent mit Behinderten besetzen. Langfristig wird angestrebt, daß der „gesamte öffentliche Dienst die Gesellschaft als ganze repräsentiert“ – also entsprechend der demographischen Zusammensetzung. Von den knapp 40 Millionen Südafrikanern sind etwa drei Viertel schwarz, 13 Prozent weiß, 9 Prozent sogenannte Mischlinge und 2 Prozent Inder.
Seit der Afrikanische Nationalkongreß (ANC) unter Präsident Nelson Mandela 1994 die Macht übernahm, ist die Beseitigung von Diskriminierungen aus der Apartheid-Zeit eines seiner zentralen politischen Vorhaben. Aus den USA hat man dazu das Schlagwort „affirmative action“ übernommen. Gemeint ist, daß „benachteiligte Bevölkerungsgruppen“, also vor allem Schwarze und Frauen, bevorzugt werden müssen. Das bedeutet schwerere Zeiten für weiße Männer. Erstmals steht beispielsweise seit gestern mit dem einstigen Guerillakämpfer Siphiwe Nyanda ein Schwarzer an der Spitze der Streitkräfte.
An den entsprechenden Gesetzesvorlagen hat der ANC viel länger gebastelt als ursprünglich vorgesehen. Vor dem Regierungswechsel hatte Mandela den verschreckten Beamten im aufgeblähten Apartheid-Staatsapparat ein fünfjähriges Moratorium versprochen. Dies gilt formal noch bis zum kommenden Jahr – nach 1999 allerdings ist die Schonfrist vorbei. „Kein weißer männlicher Angestellter soll künstlich geschützt werden“, sagte der Staatssekretär im zuständigen Ministerium am Dienstag bei der Vorstellung des Entwurfs. Zugleich soll der öffentliche Dienst drastisch verkleinert werden, um das Loch im Haushalt zu stopfen. Noch immer arbeiten mehr als eine Million Menschen in Südafrikas öffentlichem Dienst, traditionell in Südafrika eine Domäne der Weißen.
Tendenziell soll die gesamte Wirtschaft umstrukturiert werden. Damit sich auch die Privatwirtschaft künftig an die neuen Vorgaben hält, soll noch in diesem Jahr ein Gesetz zur Gleichstellung am Arbeitsplatz verabschiedet werden. Es sieht vor, daß jeder Betrieb mit mehr als 50 Angestellten sich einmal im Jahr daraufhin prüfen lassen muß, daß er nicht mehr rassisch diskriminiert und sein Personal entsprechend quotiert. Dazu muß eine Analyse erstellt werden, die das „rassische Profil der Belegschaft“ bestimmt. Wer dagegen verstößt, kann bestraft werden.
Unter Südafrikas Weißen geht indessen die Angst um. Auch viele liberale Weiße lehnen die Affirmative-action-Politik als umgekehrte Diskriminierung ab. Offen ist auch, wie so schnell qualifiziertes schwarzes Personal ausgebildet werden soll. Zwar versuchte der Minister für den öffentlichen Dienst, Zola Skweyiya (ANC), entsprechende Ängste zu zerstreuen: „Niemand wird gefeuert werden, nur weil er weiß ist.“ Doch das gesellschaftliche Klima in Südafrika wird rauher, die Zeiten, in denen euphorisch die Regenbogennation beschworen wurde, sind vorbei.
Schon im Dezember, auf dem letzten ANC-Parteitag, ließ Mandelas Nachfolger Thabo Mbeki keinen Zweifel daran, daß die Zeit der Versöhnung abläuft. Jetzt geht es an die Veränderung – und das heißt zwangsläufig, daß weiße Privilegien abgebaut werden. Zu Beginn dieser Woche wurde Mbeki noch deutlicher: wer „affirmative action“ ablehne, tue besser daran, das Land zu verlassen.
Allerdings besteht bei den geplanten Maßnahmen die Gefahr, erneut rassische Kriterien auf Jahrzehnte hinweg festzuschreiben. Der Vorwurf des Rassismus ist in Südafrika in der öffentlichen Debatte wohlfeil, auch bei nichtigen Anlässen. Wer den ANC und seine Politik kritisiert, wird schon fast zwangsläufig als „Rassist“ beschimpft. Zunehmend ist auch eine Tendenz im ANC zu beobachten, sich als Sprachrohr der Schwarzen zu artikulieren und die frühere programmatische Offenheit für alle Rassen hinter sich zu lassen. Kordula Doerfler
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