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■ Was, wenn die Emanzipation in Seenot gerät? Die taz-Titanic-Umfrage schafft OberwasserWer steigt zuerst ins Boot – der Mann oder die Frau?

taz: Sie sind Ehrengast bei der Jungfernfahrt des Titanic-Nachbaus im Jahr 2001. Der Alptraum wird wahr: Wieder ein Eisberg! Das Schiff beginnt zu sinken, wieder gibt es nicht genug Rettungsboote. Die Parole „Kinder und Frauen zuerst!“ ertönt. Wie verhalten Sie sich – dreißig Jahre nach Beginn der neuen Frauenbewegung?

Es antworteten:

Andrea Fischer, grüne Sozialpolitikerin: Nicht mein Problem, denn ich trage meinen Rettungsring immer bei mir.

Matthias Matussek, „Spiegel“-Reporter, Warner vor „feministischer Muttermacht“: Ich würde die weibliche Seite in mir entdecken – sowieso die beste Methode heutzutage, sich aus Gefahr und Not zu wienern. Dann würde ich, als Titanic-Frauenbeauftragte, dagegen protestieren, daß Rinder zuerst in die Boote sollen, ist doch Wahnsinn, welche Kuh hat sich denn das wieder ausgedacht...

Lisa Feldmann, Chefredakteurin von „Cosmopolitan“: Hin und wieder kann man Männer beobachten, die ohne zu zögern Emanzipation praktizieren: Wenn es darum geht, ellbogenrempelnd morgens möglichst schnell aus der U-Bahn zu steigen, ein Taxi vor der Nase wegzuschnappen oder im Restaurant großzügig die Rechnung rüberzuschieben. Da gehe ich davon aus, daß diese Männer auch der altmodischen Parole „Kinder und Frauen zuerst“ nichts mehr abgewinnen können. Und wir gehen baden.

Prof. Dr. Walter Hollstein, Soziologe und Männerforscher: Manches sollte wohl so bleiben, wie es immer war. Dazu gehört auch dieser hehre Satz, der ja historisch nicht aus Jux und Dollerei entstanden ist. Kindern muß geholfen werden, weil sie sich nicht selber helfen können. Frauen sind grundsätzlich wichtiger als Männer, weil sie – stets und noch immer – den Fortbestand der Menschheit garantieren. Also: trotz Frauen- und Männerbewegung würde ich warten und ausharren. Wir Linke haben seit 1968 schon genug und zu viele verbürgte Wahrheiten über Bord geworfen, so daß wir unseren Teil zur Verwahrlosung der menschlichen Verkehrsformen beigetragen haben. Von daher: Lieber mal an Bord bleiben als zu schnell springen.

Wiglaf Droste, Satiriker: Der Ruf „Kinder und Frauen zuerst!“ galt lange Zeit als Ausdruck männlicher Ritterlichkeit. In Wahrheit dokumentiert er den letzten, verzweifelten Willen von Männern, die, wenn sie schon nicht mehr selbst weiterleben können, wenigstens ihre Einzahlung in den genetischen Pool (Kind) und ihr Eigentum (Frau) retten wollen. – Weil man für die Teilnahme an sog. Prominentenumfragen gerechterweise bestraft wird, muß ich wohl mit auf die nächste Titanic. Zum Untergang nehme ich meine Käpt'n-Blaubär-Wärmflasche mit, denn wenn ich schon ertrinken soll, dann nur in mutterbauchwarmem Wasser.

Birgit Fischer, Kanu-Weltmeisterin: Für mich ist das Leben aller Menschen gleichviel wert. Emanzipation, was ist das eigentlich? In unserer heutigen Zeit würde es wahrscheinlich eher heißen: „Rette sich, wer kann!“ Und das sind dann sicherlich nicht gerade Frauen und Kinder.

Ilse Ridder-Melchers, Gleichstellungsministerin in Nordrhein-Westfalen: Hellsehen kann ich zwar nicht, dennoch wage ich die Vorhersage: Auch im ersten Jahr des 21. Jahrhunderts wird es noch fast überall (außer bei Schiffskatastrophen) heißen: Männer zuerst. Ich prognostiziere auch: Die Titanic 2001 wird erneut von einem „stolzen“ Kapitän und nicht einer umsichtigen Kapitänin ins Eis gerammt. Und sollte es also an Bord zum zweiten Mal – dank des unerschütterlichen Glaubens der Männer an die Stärke und Unsinkbarkeit ihrer eigenen Schöpfung – nicht genügend Rettungsboote geben, dann nehme ich die großzügige und ritterliche Geste „Kinder und Frauen zuerst“ dankend an, helfe den Kindern in die Boote und steige ohne zu zögern dazu.

Nikolas Marten, Chefredakteur von Amica: 3. Oktober 2001. Der Tag der deutschen Einheit fällt für mich also ins Wasser. Auf dem Oberdeck stimmt Celine Dion gerade „My Heart Will Go On“ mit der Titanic-Hausband an, da reißt ihr Ute Lemper das Mikro aus der Hand. Ergriffen intoniert sie „Mackie Messer“. Keiner lacht. Keiner weint. Egal. Alle Kinder wehren sich gegen die Zwangsverfrachtung in die Rettungsboote und brüllen im Takt „Le-o-nar-do“. Ich stehe an der Reling und langweile mich – zu Tode...

Franziska Menke, Sängerin, geriet einst mit dem „Tretboot in Seenot“ und in die Charts: Wenn ich in Panik gerate, geht es mir nur noch um mich selbst. Also halte ich an alter Tradition fest und steige nichts wie rein ins Rettungsboot. Allerdings nehme ich meine Kinder mit. Umfrage: B. Debus/R. Krause

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