: Höhepunkte am Ende der Skala
■ Radio Multikulti hat sein Samstagsprogramm reformiert und damit ein Auffangbecken für nonkonforme DJs geschaffen. Jetzt tritt die SFB-Crew an zum ersten "Drum & Tribe"-Club
„Die panafrikanische Groove- Partei feiert ihren ersten Kongreß. Abgeordnete Sängerinnen aus der Wassoulou-Region in Mali diskutieren mit Positive Black Soul aus dem Senegal über die Zukunft des Hiphop, derweil Massive Attack einen Anfängerkurs der Trommelschule für Talking Drums aus Accra besuchen. Simultanübersetzung durch die Griot-Fraktion.“
Oder auch: „Protestkundgebung im Veteranenheim der Jimi- Hendrix-Stiftung (e.V.). Khaled, Santana, Ravi Shankar und die Animals fordern die Inbetriebnahme der Two-Way-Telepathie- Übertragungskanäle auf 106,8 MHz. Moderation: Jim Morrison.“
Was stark nach den phantastischen Fieberträumen eines delirierenden Musikfanatikers klingt, ist in Berlin seit vier Monaten Radiorealität. Jeden zweiten Samstag abend ist am rechten Ende der Skala, auf Radio Multikulti, zwischen 20 und 22 Uhr die Sendung des Berliner Klangkünstlers „Genetic Drugs“ zu hören: eine Art Cyber-Soundlabor, dessen Zeit-, Raum- und Genregrenzen überschreitende Musikauswahl der Bastler lange vorher am heimischen Computer abmischt und vorproduziert. Die Klangcollage ist einer der Höhepunkte im neuen Programmkonzept des öffentlich- rechtlichen SFB-Senders.
Seit vier Monaten hat Radio Multikulti sein samstägliches Musikprogramm reformiert und verdichtet sowie neue Moderatoren angeworben in der Absicht, insbesondere jüngere Radiohörer stärker anzusprechen. „Die Zweite Generation stärker in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk einzubinden durch Leute, die in der Szene was zu melden haben, also nicht unbedingt durch Profi-Radiomacher“, so die Idee von Programmplaner Tobias Maier. Mit hörbarem Ergebnis: Jeden Samstag reiht sich eine außergewöhnliche Musiksendung an die andere. Um 15 Uhr startet „Radio Kanaka International“, einst auf KISS FM zu Hause, mit dem Allroundartisten Don Rispetto alias Gio di Sera; anschließend beginnt „Selector 4“, im Wochenturnus von den DJs Corcovado, Jimmy Bamba, Chokri und Sister Ann übernommen und entsprechend zwischen Brasil-Pop, Afro-Freestyle, Maghreb-Beats und Ragga-Zone wechselnd. Ab 17 Uhr ertönt das türkische Popmüzikprogramm „Haydi Hop“. Moderator Ercis Ziel ist es, „deutschen wie anderen Zuhörern die türkische Popmusik näherzubringen“.
Und um 18 Uhr übernimmt dann Tobias Maier, der die Programmreform gestaltet hat, das Studio für seine „Global Dancehall“. Durch das neue Konzept ist Radio Multikulti inzwischen zum medialen Auffangbecken für kreative DJ-Projekte avanciert, zur echten Alternative im Berliner Äther-Einheitsrauschen, nicht nur für erklärte Liebhaber der Weltmusik. Lokale DJ-Koryphäen, wie etwa die Elektronauten oder das DJ-Duo vom Goldmine Club, schauen jetzt häufiger mal in der Masurenallee vorbei, und „die müssen auch keine Ethno-Quote erfüllen, um bei uns aufzulegen“, entwarnt Tobias Maier.
Das gute Standing in der Szene verführt jetzt die Multikulti-Crew, aus ihren SFB-Funkräumen herauszutreten, um an diesem Mittwoch im Oxymoron eine erste, „Drum & Tribe“ genannte Clubnacht zu organisieren. „Es geht uns darum, zwei Welten zusammenzuführen, die in Berlin nebeneinanderher existieren: die hippe DJ- Kultur mit, im weitesten Sinne, Musikern anderer Kulturen. Daß soll dazu beitragen, etwas frischen Wind in die Drum-'n'-Bass-Szene zu bringen und die Weltmusiker aus dem Müsli-Ghetto rauszuführen“, erklärt Tobias Maier. Weswegen nun, bei der Premiere am 6. Mai, der Doughnuts-DJ „Der lächelnde Schamane“ am Plattenteller von Berliner Musikern wie dem Flötisten Mohamed Askari, dem Saz-Spieler Taner Akyol und dem Geiger Wisam Gibran begleitet wird, während Baba Dango das Live-Toasting beisteuert. Ein Experiment zunächst, „das muß sich entwickeln“, aber über weitere Schritte wird bereits nachgedacht: Nach „Drum & Tribe“ im Radio und im Club künftig auch als Forum im Internet – warum nicht?
Gut möglich außerdem, daß die abgedrehten „Genetic Drugs“- Musikhörspiele eines Tages regulär als Alben veröffentlicht werden – als DJ-Kicks, wenn erst die Frage der Rechte geklärt ist. Aber das ist bisher noch Zukunftsmusik. Daniel Bax
„Drum & Tribe“ Live Club: Premiere am Mittwoch, dem 6. Mai, ab 22 Uhr im Oxymoron, Hackesche Höfe, Rosenthaler Sr. 40/41, Mitte
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen