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Die blaue Grippe und die kleinen Polizisten Von Ralf Sotscheck

Eine merkwürdige Krankheit geht um in Irland: die blaue Grippe. Sie befällt lediglich die blau uniformierten Polizeibeamten niederer Ränge. Dort wütet sie aber gründlich – vier Fünftel aller Polizisten, mehr als 6.700 Leute, meldeten sich am Freitag krank. Genauso plötzlich, wie die Grippe ausgebrochen war, verschwand sie auch. Am Samstag waren alle wieder gesund.

Charlie McCreevy, der Finanzminister, bezeichnete die kranken Beamten als Lügner, die der Regierung eine Lohnerhöhung abpressen wollen. Weil Polizisten keiner Gewerkschaft, sondern nur einem Interessenverband angehören dürfen, können sie nicht streiken – jedenfalls nicht offiziell. Der Polizeiverband hatte sich bei der letzten Lohnrunde über den Tisch ziehen lassen, als man sich mit Verbesserungen bei der Rente abspeisen ließ und dafür auf Lohnerhöhungen verzichtete. Viele jüngere Beamte traten daraufhin aus dem Verband aus. Dessen Bosse hatten solche Furcht vor ihren ehemaligen Mitgliedern, daß sie für ihren Kongreß eine private Sicherheitsfirma anheuerten.

Für Verkehrssünder und Kleinkriminelle war Freitag ein Feiertag: Sie wurden alle freigesprochen, weil kein einziger Polizist vor Gericht erschienen war, um gegen sie auszusagen. Wie sei es um die Glaubwürdigkeit der Simulanten bestellt, fragte McCreevy, wenn sie künftig als Zeugen auf die Bibel schwören müssen?

Damit es nicht so auffiel, daß Irland praktisch an der Schwelle zur Anarchie stand, schickte der Polizeichef die höheren Ränge gemeinsam mit rund tausend Lehrlingen auf die Straße und hängte ihnen leuchtend gelbe Lätzchen um. So waren sie nicht nur weithin sichtbar, sondern die Lätzchen verdeckten auch die charakteristischen Jacketts der Polizeilehrlinge. Alle beteten gemeinsam, daß Irlands Unterwelt den Bluff nicht durchschauen würde, denn der Nachwuchs hatte bisher lediglich gelernt, wie man gegen Parksünder vorgeht. Das machten die kleinen Polizisten aber gründlich: Noch nie wurden so viele Strafzettel an einem Tag verteilt.

Die Armee übernahm die Notrufzentrale. Ein weiterer überraschender Schachzug – schließlich haben fast alle der 12.000 Soldaten die Armee auf Schadenersatz verklagt, weil sie sich bei den Schießübungen ihr Gehör beschädigt haben. So kam es am Freitag zu manchem Mißverständnis. Ein paar Kinder, die einer Frau die Geldbörse geklaut hatten, waren völlig verblüfft, als sie plötzlich von einem Dutzend uniformierter Polizisten, ebenso vielen Zivilbeamten und einem schwerbewaffneten Sondereinsatzkommando in mehreren Streifenwagen umzingelt waren. Sie hatten noch nie so viel Polizei auf einem Haufen gesehen. Der Soldat in der Notrufzentrale hatte nicht „purse“ (Geldbörse), sondern „Post“ verstanden und geglaubt, es handle sich um einen bewaffneten Raubüberfall auf ein Postamt.

Der Polizeiverband hat der Regierung nun ein Ultimatum gesetzt: Falls sie keine Lohnerhöhung bewillige, würde die blaue Grippe erneut zuschlagen – und zwar genau an dem Tag, an dem die Tour de France in Dublin beginnt. Dann müßten sich Jan Ullrich und seine Kollegen durch den Innenstadtverkehr schlängeln, so wie es Tausende einheimischer Radfahrer Tag für Tag tun müssen.

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