: Die Hauptstadt der Fußballwelt
Nach dem 4:0 gegen Wolfsburg, mit dem der 1. FC Kaiserslautern den Bayern den Meistertitel wegschnappt, freut sich Otto Rehhagel auf den FC Barcelona ■ Von Günter Rohrbacher-List
Kaiserslautern (taz) – Recht auffällig wandelt ein verwirrter Mannheimer am Samstag abend kurz vor Mitternacht an Gleis vier auf dem Hauptbahnhof von Kaiserslautern auf und ab. Das 4:0 gegen Wolfsburg hatte er nicht gesehen, sondern zu Hause im Radio gehört, daß der 1.FCK Deutscher Meister geworden war. „Da hab' ich mich angezogen, bin zum Bahnhof und hierher gefahren“, schwärmt er von dem ausgelassenen Treiben auf den Straßen der Stadt und dem frühsommerlichen Feuerwerk, das im Lauterer Osten in den Himmel geschossen wurde.
Ein Feuerwerk ganz anderer Art hatte acht Stunden zuvor der 1.FC Kaiserslautern im Fritz-Walter-Stadion gezündet, zwar ohne auf Duisburger Hilfe zu bauen, aber doch in der stillen Hoffnung, der MSV möge den Münchener Bayern mindestens einen Punkt abknöpfen. Nach dem 1:0 für den FCK durch Olaf Marschall richteten die Zuschauer ihre Augen zwar etwas ruhiger gen Spielfeld, aber so manches Ohr hing am mitgebrachten Transistorradio. Wagners 2:0 in der 52. Minute und Marschalls Heber nur drei Minuten später lenkten schließlich alle Aufmerksamkeit ins 320 Kilometer nordwestlich gelegene Wedaustadion, und frenetische „Duisburg, Duisburg“-Sprechchöre schallten durchs Stadion.
Als Rische zwei Minuten vor dem Abpfiff das 4:0 gelang, feierten längst auch die Wolfsburger Fans mit, deren Team durch Kölns Niederlage in Bielefeld endgültig dem Abstieg entgangen war. Ein Wolfsburger tauchte am späten Abend sogar vollends ins Freudenmeer der Lauterer Altstadt: Roy Präger mischte sich im Rische-Trikot unter 30.000 Feiernde in der Steinstraße und an der Stiftskirche.
Gefeiert wurde vorher auch im Stadion, wenn auch ohne Fritz Walter, der, wie immer, wenn es spannend wird, zu Hause in Alsenborn von seiner Frau Italia über das Ergebnis unterrichtet wurde. Die Mannschaft wurde bejubelt, und besonders natürlich Trainer Otto Rehhagel, auf den der sensationelle Titelgewinn wie ein Jungbrunnen wirkt, auch wenn er ständig von seinem hohen Alter (59) erzählte. Vor zwei Jahren war er wie ein geprügelter Hund aus München gejagt worden und hatte froh sein müssen, ein Auskommen als Zweitligatrainer in Kaiserslautern zu finden. Ein Absteiger beim Absteiger, tiefer war er nicht mehr gesunken, seit seine Dortmunder Borussen 1978 mit 0:12 gegen Borussia Mönchengladbach verloren hatten und er in Bremen anheuern mußte. Um so größer der Triumph, nachdem er ausgerechnet den großkopfeten Bayern eine lange Nase gedreht und seine Mannschaft als erster Aufsteiger überhaupt den Titel geholt hatte.
„Eine klammheimliche Freude“ könne er nicht verhehlen, gab er mit Rehhagelschem Understatement zu, schließlich sei Kaiserslautern jetzt „die Hauptstadt der Fußballwelt“. Den Bayern dürften bei diesem Satz noch in Duisburg die Ohren geklungen haben.
„Ein unglaubliches Märchen“ sei zu Ende gegangen, frohlockte Rehhagel weiter und schwärmte immer wieder genüßlich vom FC Barcelona, der sich nun „eine Landkarte ansehen und dort Kaiserslautern suchen“ müsse. Das Märchen soll schließlich weitergehen. Aufsichtsrat Jürgen Friedrich blockte Fragen nach der Zukunft aber erst mal ab: „Wir haben keine Visionen.“ Von der Champions League darf der 1.FCK jetzt aber nicht mehr nur träumen, er muß sie zielstrebig planen. Das Dach der Südtribüne ist bereits entfernt und von Asbest entsorgt, an ihrer Stelle wird eine moderne Tribüne mit 4.000 zusätzlichen Sitzplätzen entstehen. Heute bereits inspiziert eine Kommission der Uefa das Stadion, und ab September dürfen sich die großen Klubs Europas, zu denen sich auch der 1.FCK bald zählen will, hier die Klinke in die Hand geben: Arsenal London, Juventus Turin, Rehhagels FC Barcelona, oder wie immer die fußballerischen Giganten des Kontinents, die den Betzenberg besuchen werden, dann heißen mögen.
VfL Wolfsburg: Zimmermann – Keller – Kovacevic, Ballwanz (58. Tomcic) – Greiner (78. Meissner), Breitenreiter, Dammeier, Reyna – Kleeschätzky, Kapetanovic – Präger
Zuschauer: 38.000; Tore: 1:0 Marschall (24.), 2:0 Wagner (52.), 3:0 Marschall (55.), 4:0 Rische (88.)
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