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Die Keule mit Netz weckt die Urinstinkte

„Manchmal geht's schon brutal zu“: Der ehemals recht kriegerische Indianersport Lacrosse wächst hierzulande zwar, aber noch ist die Schar der Pioniere, die bei den nun schon fünften Berlin Open zusammenkam, ziemlich überschaubar  ■ Von Ruth Lorenz

Gerangel und Beharken im Strafraum, netzbespannte Schläger krachen aufeinander. Blitzartig wechselt das Tempo. Gerade noch wurde beinahe statisch um das Tor herum gepaßt, dann feuert ein Angreifer plötzlich aus einem pfeilschnellen Spielzug heraus einen Schuß aufs Tor. Lacrosse bei den Berlin Open, zelebriert von den spielstarken englischen und tschechischen Teams, die das Finale unter sich ausmachten.

Zum fünften Mal schon reisten am vergangenen Wochenende internationale Lacrosse-Teams nach Berlin und zeigten der deutschen Konkurrenz, wie Tempo gemacht wird im „schnellsten Mannschaftssport auf zwei Füßen“. So jedenfalls sehen die Lacrossespieler ihren Sport selbst gerne. BLAX, der Berliner Lacrosse-Verein, veranstaltet das größte europäische Vereinsturnier in dieser in Deutschland noch jungen Sportart.

Französische Missionare waren im 15. Jahrhundert die ersten, die aus der Neuen Welt zurückkehrten und von dem Spiel der Indianer berichteten, das sie nach dem Bischofsstab tauften, weil die Schlägerform an „la crosse“ erinnerte. Die Indianer nannten ihren Sport Baggataway, kleiner Bruder des Krieges. Ein Spiel dauerte tagelang, manchmal sogar zwei oder drei Jahre. Ganze Stämme nahmen daran teil. Bis zu 1.000 Mann spielten gegeneinander. Mit einem Lacrossespiel rief man die Götter um spirituellen Beistand an, regelte irdische Konflikte um Territoriengrenzen oder trug Stammesfehden aus. Man spielte über die unbegrenzte Prärie, die Tore standen meilenweit voneinander entfernt. Manchmal fielen nicht nur Tore, sondern es gab auch Tote.

Seit 1993 kennt man in Deutschland die Indianerspieladaption. Ausgangspunkt der Lacrosse-Bewegung waren zwei Berliner Studenten, die den Sport von ihrem USA-Aufenthalt mitbrachten. So entstand BLAX. Als einer der Gründerväter zum Studium nach München wechselte, wurde ein zweiter Verein gegründet, und fortan geb es auch deutsche Meisterschaften. Im Dominoeffekt breitet sich seither Lacrosse aus: München, Passau, Hamburg, Kiel, Köln, Bonn, Düsseldorf, Göttingen. Mit BLAX und VfK gibt es in Berlin schon zwei Vereine. Fast überall wird auch Frauen-Lacrosse gespielt, das dem Feldhockey ähnelt und lange nicht so körperbetont ist wie die Männerversion.

Sukzessive erreicht Lacrosse inzwischen auch den Uni- und Schulsport. Aber boomt der Import? „Unser Sport ist neu und unverbraucht“, hofft Peer Maluck, Defense-Spieler bei BLAX, „wir wachsen und etablieren uns weiter.“ Dank Einfallsreichtum und Improvisationskünsten. Den ersten Trainer fanden die BLAX- Spieler der ersten Stunde an einem amerikanischen Stammtisch der Treuhand. Dort vermutete man Lacrosse-Kenner. Von da an triezte zweimal die Woche ein US- Banker die Berliner. Neuerdings steht ihnen für zwei Monate ein erfahrener Coach zur Seite, vom Förderprogramm der „Lacrosse Foundation“ in die Lacrosse-Diaspora geschickt. So unterstützt erreichte BLAX bei den Berlin Open sogar das kleine Finale um Platz drei und schlug dort den favorisierten Londoner Lacrosse Club Croydon.

Im ehemals blinden Lacrosse- Fleck Deutschland wird die Aufbauarbeit feiner. Bei den ersten Berlin Open kamen sogar einige Hauptschiedsrichter der WM aus den USA angereist und gedachten bei einem veritablen Turnier zu pfeifen, was eigentlich auch geschah. Doch erst mußten sie den Berlinern die offiziellen Spielfeldlinien auf den Rasen malen: Pragmatismus und Pioniergeist für die Alte Welt und deren neue Spiele. Bei den fünften Berlin Open ist derartige Soufflierarbeit nicht mehr nötig. Diesmal kamen gleich zehn offizielle Schiedsrichter aus den USA und England angereist. Was die BLAXer sehr stolz macht, denn zum Teil pfeifen die Referees Topspiele in Nordamerika vor 17.000 Zuschauern.

Lacrosse spricht Englisch: „Switch“ und „check“ sind Kommandos im Spiel, die der Torwart seiner Verteidigung zuruft. Seine Vorderleute positioniert er so vor dem Torkreis und gibt an, wo der in den Schlägernetzen kaum sichtbare Ball ist. Steht die Abwehr gut, schützt er nicht nur sein Tor, sondern auch sich selbst vor den schnellen Geschossen. Goalies stehen auf einer zwar bodycheckfreien, aber doch schmerzvollen Position: der wichtigsten, weil strategischsten in einem Team.

Wendig und reaktionsschnell muß ein Lacrossespieler sein und über eine gute Stocktechnik verfügen. Gewiefte Spieler fangen und passen in einer Bewegung und geben so der Partie Tempo. Besonders von den Angreifern wird erwartet, daß sie scharfe Pässe trotz Störaktionen von Verteidigern ins Tor lenken. Sie stiften im Zickzackkurs zusätzliche Verwirrung und müssen dabei hart im Nehmen sein. „Mit einem guten Auge geht man manchen Checks aus dem Weg“, hofft Maluck. Trotzdem ist Lacrosse ein Sport mit Blaue-Flecken-Garantie. Checks von hinten und Schläge auf den Helm aber sind verpönt. Im Chaos behalten oft nur die Schiedsrichter die Übersicht. Wer ihre Entscheidungen kommentiert, wandert schnell auf die Strafbank. Aber bei aller Härte, man spielt sauberes Lacrosse. Was bedeutet: Den Gegner umrennen und auf den Hintern hauen, das Tor schießen und auf dem Rückweg den Verteidiger wieder aufsammeln.

„Vielleicht weckt ja die Keule mit dem Netz daran Urinstinkte im Menschen“, sinniert Maluck, „hart und manchmal brutal geht's schon zu.“ Doch man bleibt fair: Die weltweit relativ überschaubare Schar der Lacrossespieler fühlt sich als Familie, da will man sich nicht gegenseitig dezimieren. Mit Kommerzialisierung in weiter Ferne und noch kaum durch Sponsoren unterstützt, ist Lacrosse eines der letzten echten Reservate des Amateursports.

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