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Stinkende Krebse am Zuckerhut

Ein Jahr nach der Privatisierung der Elektroversorger gehören Stromausfälle in Rio weiterhin zum Alltag. Die Nationale Energieagentur unternimmt nichts  ■ Aus Rio de Janeiro Patricia Sholl

Die 20 Kilo Langusten, mit denen Zahnarzt Frederico Souza im Sommerhaus bei Rio seine von weither angereisten Verwandten und Freunde beglücken wollte, stanken wie die Pest. Das letzte Weihnachtsschlemmen in der dortigen Hitze konnte trotzdem stattfinden, doch schon zu Sylvester traf es Krabben, importierten französischen Käse und Steaks. Üble Gerüche dieser Art waren wie nie zuvor aus Tiefkühltruhen und Kühlschränken gedrungen – Souza blieb nichts weiter übrig, als die Gäste ins nächste bessere Restaurant zu lotsen. Mitten im Speisen gefiel es der im Mai letzten Jahres privatisierten Rio-Stromfirma mit Namen „Light“ erneut, die Energie zu kappen – von den Nachbartischen erschallte aus Kehlen jüngerer Leute erneut der Ruf „O Apagao“ – alles stürmte ins Freie und prellte zum wiederholten Mal die Zeche.

Weit begründetere Wutschreie sind indessen während der neuesten Blackout-Welle in den Slums und Armenvororten zu hören – wenn tagelang der Strom wegbleibt, ist rasch aller Kühlschrankinhalt verdorben.

Luiz Carlos Sixel, Rios Gewerkschaftschef, erwies sich bereits ein Jahr vor dem Light-Verkauf als Hellseher: 1979 sei Light aus kanadischem Privatbesitz in staatlichen überführt worden, damit die konstanten Blackouts endlich aufhörten und bisher nicht belieferte Armenviertel ebenfalls Strom erhalten könnten. Werde Light wieder an Ausländer verdealt, passiere dasselbe wie damals. Bei den „Estrangeiros“ handelt es sich diesmal um die staatliche französische Electricité de France sowie die beiden US-Privatfirmen Houston Energy und AES Corporation. Sie mußten nicht einmal zwei Milliarden Dollar für das gutgehende Großunternehmen berappen.

Das monopolistisch belieferte Rio ist nicht irgendeine lateinamerikanische Großstadt. Offiziell hat sie 5,5 Millionen Einwohner. Brasiliens zweitwichtigstes Wirtschaftszentrum nach São Paulo steckt, gemessen am Bruttosozialprodukt, die meisten Länder des Subkontinents – darunter Chile und Uruguay – bequem in die Tasche.

Theoretisch existiert eine neubegründete Nationale Energieagentur, die Light jetzt auf die Finger klopfen müßte. Allgemeine Heiterkeit löste aus, daß jene mit Parteifunktionären und Polit-Bonzen besetzte Agentur damals zum Weihnachts-Blackout den Light- Oberen im strengen Ton 60 Tage Zeit gab, um das Blackout-Problem zu beheben. In 60 Tagen ist der Sommer zu Ende, und der Verbrauch geht eh stark zurück.

Privatisierung, dröhnt Präsident Cardoso, dient zum Abtragen der hohen öffentlichen Schulden. Falsch, höhnen die Experten, der tatsächliche Nutzen des Verkaufs Dutzender rentabler Firmen war bisher fast null. Der Staat übernahm für weit über eine Milliarde Dollar marode Privatunternehmen. Und weil Brasilien die weltweit höchsten Realzinsen aufweist, stieg die ohnehin hohe Verschuldung der Teilstaaten seit Cardosos Amtsantritt von 1995 um ein Mehrfaches. Nun scheint auch der Markt für Energieprivatisierungen gesättigt zu sein: Die nach Geld lechzende Stadtverwaltung der Wirtschaftslokomotive São Paulo fand Mitte April keinen Bieter für Bandeirantes, einen ihrer beiden Stromversorger. Und die stadteigene Metropolitana, Lateinamerikas größter Stromnetzbetreiber, wurde an den einzigen Bieter für den Minimalpreis von 1,78 Milliarden Dollar versteigert – an eben jene Light, die sich schon in Rio unbeliebt macht.

Der Verkauf von Stromaktien sollte dem brasilianischen Staat in den nächsten zwei Jahren 45 Milliarden Dollar bringen. Es sieht so aus, als würden die potentiellen Käufer abwarten, bis der Fiskus alle Risiken und Schulden aus der staatlichen Zeit übernimmt. Der Haushalt von Staat und Städten ist auf diese Weise nicht zu sanieren.

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