: Über die Großherzigkeit des Rauchens Von Wiglaf Droste
Wenn die Leute über Rauchen oder Nichtrauchen debattieren, werden sie gleich kriegerisch und erbittert. Streitende Nichtraucher benehmen sich wie ihr eigenes Klischee: Sie bekommen diesen sauren Zug um den Mund, fallen ihrer Umgebung mit Vorträgen über hinlänglich bekannte, langweilige Gefahren des Rauchens und über die Volksgesundheit zur Last, und mit Vorliebe hetzen sie gegen schwangere Frauen, die sich und dem Kleenen mal ein Zigarettchen gönnen. Häufig ist ihnen eine protestantische Neigung zur Hysterie eigen; zückt jemand in ihrer Nähe eine Schachtel Zichten, führen sie sich auf, als hielte ihnen ein Meuchelmörder sein Messer an den Hals. Hauptsächlicher Daseinszweck solch berufsmäßiger Nichtraucher ist es, sich ständig und überall bedroht zu fühlen und darüber in großes Lamento auszubrechen. Was soll nur aus ihnen werden, wenn niemand mehr raucht?
Wer sich Gäste einlädt, damit er ein paar Leute zum Schikanieren hat (oder die er wenigstens ins sichere Drittland Balkonien abschieben darf), der soll sein Brot allein, aber mit Tränen essen; auch wer in Heiratsannoncen von Liebe singt, aber kleingeistig auf „NR“ – wie Nagelrochen – besteht, der sei mit Einsamkeit geschlagen für und für bzw. ist das gerechterweise ja bereits. Sehr peinlich ist auch der Jubel über das „Nichtraucherparadies Amerika“, wo Menschen, deren Rauch einen niemals errreichen wird, das öffentliche Quarzen untersagt wird.
Die schwerste, härteste Prüfung sind diejenigen Nichtraucher, die sich mit Märtyreraura in eine Gastwirtschaft hineinsetzen und, demonstratives Leiden im Gesicht, davon erzählen, wie unglaublich tolerant und tapfer sie doch seien. Wer sich selbst salben und seligsprechen will, soll das zu Hause vor dem Spiegel tun; er kann sich dabei ja Mahatma nennen.
Unter Berufung auf dasselbe Notwehrrecht, das Nichtraucherfreischärler für sich in Anspruch nehmen, ziehen auch Raucher in den Krieg: Es gibt Nikotinguerilleros, die in Hotels prinzipiell ein Nichtraucherzimmer ordern und es dann unter gehässigem Hähähä vollqualmen. Anstatt die Anfeindungen durch arme Willis, die sich verzweifelt an ihre Nichtraucherexistenz klammern, würdig und stolz zu ignorieren und pingelige Antizigarettler durch eine Großzügigkeit zu beschämen, zu der diese niemals fähig wären, wird manch ehedem friedfertig Schmauchender seinem Gegner ähnlich und mutiert zum Trotz- und Kampfraucher. Das Rauchen verklärt er zur letzten Bastion der Freiheit, und seine Gewohnheit, hektisch zu süchteln, zum gelebten Heldentum. Wenn er – möglichst in einer verschworenen Gemeinschaft Gleichgesinnter – Kette raucht, kommt er sich mutig vor oder sogar, Teufel auch, wie widerständig!, „politisch inkorrekt“. Der verwegene Gesichtsausdruck, den diese Sorte Spießer dabei aufsetzt, ist der des Ehemanns auf dem Weg in den Puff.
Den Fortgeschrittenen, die den Kriegsdienst in Sachen Rauch verweigern, bleibt nur, sich auf wesentlichere Schauplätze zu konzentrieren und sich mit dem größten Vergnügen hin und wieder ein paar gute Mundvoll Tabak anzustecken. Denn so lautet die großherzige, weil von Genußrauchern aufgestellte alte Regel: Rauchen und mitrauchen lassen. Bzw.: Rauchen und gerochen werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen