: Der lange Abschied von der Putschkultur
Wenn am Sonntag in Paraguay gewählt wird, könnte erstmals die Opposition die Regierung übernehmen. Der populärste Kandidat, General Oviedo, tritt nicht an – er sitzt wegen eines Putschversuchs im Gefängnis ■ Aus Asunción Astrid Prange
Bleierne Stille liegt über Asunción. Keiner der 500.000 Einwohner am Paraguay-Fluß ärgert sich mehr über die enormen Krater im Asphalt, über die täglichen Überschwemmungen oder tote Telefonleitungen. Fassungslos und skeptisch nehmen die Bewohner zur Kenntnis, daß zum ersten Mal in der Geschichte des kleinen südamerikanischen Landes ein General für einen Putschversuch für zehn Jahre ins Gefängnis geschickt wurde. Fatalerweise handelt es sich bei dem Gefangenen um den Spitzenkandidaten der regierenden „Colorado“-Partei für die Präsidentschaftswahlen am Sonntag, General Lino Oviedo.
Seit der Oberste Gerichtshof sich am 17. April für den Verbleib des ehemaligen Armeechefs hinter Gittern aussprach, hat die Partei über Nacht ihren Präsidentschaftskandidaten verloren. Erstmals seit über 50 Jahren Herrschaft der „Colorados“ hat nun die Opposition eine echte Chance, die Macht zu übernehmen.
„Paraguay ist die letzte Bananenrepublik Südamerikas“, höhnte die Washington Post kürzlich in einem Vorbericht über die bevorstehenden Wahlen. Die Mehrheit der rund fünf Millionen Paraguayer würde schon am Morgen in den Nachrichten mit der Drohung bombardiert, daß die gerade fünf Jahre alte Demokratie jederzeit mit einem Staatsstreich begraben werden könne. Schließlich wurde das Land zwischen Brasilien und Argentinien seit seiner Unabhängigkeit im Jahr 1811 bis zum Mai 1993 durchgehend von Militärs regiert.
Die Putschmystik zieht Paraguayer und Außenstehende gleichermaßen in ihren Bann. „Die Ruhe ist auch nach dem Urteil des Gerichtshofs noch nicht garantiert“, meint der brasilianische Botschafter Bernardo Pericas Neto. Fanatische Anhänger des beim Volk beliebten Ex-Armeechefs Oviedo könnten sich weigern, das Gerichtsurteil widerstandslos hinzunehmen.
Der internationale Druck auf Paraguay ist gewaltig. Während des II. Amerika-Gipfels in Chile drohten kürzlich Brasilien, Argentinien, Uruguay und Chile Staatspräsident Juan Carlos Wasmosy mit dem Ausschluß Paraguays aus dem gemeinsamen südamerikanischen Markt Mercosur, sollte die „demokratische Ordnung“ in Asunción verletzt werden. Wasmosy mußte sich vor den 34 Staatschefs des amerikanischen Kontinents verpflichten, die demokratische Ordnung in seiner Heimat aufrechtzuerhalten und den fristgemäßen Ablauf der Wahlen zu garantieren. Zu Hause aber tritt Wasmosy für eine Verschiebung der Wahlen ein: Als Mitglied der regierenden „Colorado“-Partei will er der Partei noch ein wenig Luft verschaffen.
„Das Colorado-Volk will einen Wechsel, die Leute haben traditionelle Führer wie Argana, die über Nacht reich werden, satt“, erklärt der Soziologe und Unternehmensberater Ricardo Rodrigues. Die abgewirtschaftete Partei könne sich nur in der Opposition regenerieren, ist er überzeugt. Er räumt allerdings ein, daß auch die Kandidaten Domingo Laino und sein Vize Carlos Filizzola von der „Alianza Democratica“ nicht besonders mitreißend sind. „Sie sind nicht korrupt“, beteuert er, „doch sie haben keine Krallen.“
In den Meinungsumfragen liegen die ehrlichen und exilerprobten Kandidaten der „Alianza Democratica“ gegenüber dem neuen Kandidatenduo der „Colorados“ zur Zeit um fünf Prozent im Vorteil. Denn der Abschied Oviedos aus dem Wahlkampf hat bei den „Colorados“ zu einem unbeabsichtigten Zusammenschluß politischer Erzrivalen geführt. Neuer Spitzenkandidat der „Colorados“ ist nun der ehemalige Stellvertreter Raul Cubas Grau, zuvor Finanzminister unter Wasmosy. Sein Vize ist Luis Maria Argana, Vorsitzender der „Colorado“-Partei, der Oviedo bei der parteiinternen Kandidatenkür unterlegen war.
Bischof Claudio Gimenez aus der Diözese Caacupe macht für die Kandidatenmisere einen allgemeinen Mangel an Führungspersönlichkeiten verantwortlich. „Wir brauchen politische Anführer ohne militärische Vergangenheit mit einer neuen Mentalität, die sich dem Gemeinwohl verpflichtet fühlen“, erklärte der Geistliche. Statt sich der politischen Hysterie und Spekulation hinzugeben, sollten sich die Verantwortlichen verstärkt wirtschaftlichen und sozialen Problem annehmen.
Nach Angaben von Wirtschaftsbeobachtern hat die anhaltende politische Krise in Paraguay zu einem Investitionsstillstand geführt. Die Landeswährung Guarani verlor gegenüber dem US-Dollar seit Oktober vergangenen Jahres um mehr als 20 Prozent an Wert, das Haushaltsdefizit steigt, die Handelsbilanz ist negativ, und die Zentralbank bemüht sich verzweifelt, die jährliche Inflationsrate unter zehn Prozent zu halten. Nach Angaben der deutsch-paraguayischen Handelskammer wuchs die Wirtschaft im vergangenen Jahr genauso stark wie die Bevölkerung, nämlich um 2,6 Prozent. 1996 schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt von knapp zehn Milliarden Dollar sogar um 1,3 Prozent. „Wirtschaftlich haben wir uns verschlechtert“, erklärt Ricardo Rodrigues. Bauunternehmer Wasmosy, im Mai 1993 bei den ersten freien Wahlen zum Staatspräsidenten gewählt, fehle die Legitimation der Ergebnisse, so der Soziologe. Wer auch immer die Wahlen gewinnt, der Handlungsspielraum für Investitionen in Infrastruktur, Bildung, Gesundheit und Soziales ist äußerst gering. Eine Delegation des Internationalen Währungsfonds (IWF) hat bereits ihren Besuch für Mitte Mai angekündigt. Der vom IWF in Aussicht gestellte Kredit in Höhe von 100 Millionen Dollar ist an ein rigoroses Sparprogramm zur Sanierung der öffentlichen Finanzen geknüpft.
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