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Der Streß der kinderfreien Frau

Bist du verheiratet? Hast du Kinder? Nein? Bist du schwul?“ Die typischen Fragen. Erst neulich wieder stellten sie Schüler meinem Mann. Er hatte zuvor ihre Frage nach eigenen Kindern verneint. Abgesehen von dem abwertenden Unterton gegenüber Homosexuellen, der in solchen Fragen liegt, zeigt das Erlebnis auch: Keine Kinder zu haben, gilt in unserer Gesellschaft als „abnormes“ Dasein. Frauen und Männer ohne Kinder werden zur Zielscheibe von Projektionen: Bist du schwul? Hat sie keinen abgekriegt? Sind die krank? Jedenfalls stimmt was nicht mit ihnen. Und besonders mißtrauisch beäugt werden die „Kinderfreien“, wenn sie in einem pädagogischen Beruf arbeiten.

Ich bin aus Profession Lehrerin an einer Grundschule geworden. Eltern begegnen den Fachkräften in der Grundschule häufig mit Anmaßung und Respektlosigkeit, weil sie meinen, sowohl durch ihre eigene Schulzeit als auch durch ihre eigene Elternschaft ein Entscheidungsrecht in komplizierten pädagogischen und fachdidaktischen Fragen erworben zu haben. Zeigt man als Lehrerin in Konfliktsituationen dann Mut zu Standpunkten und gehen den Geschäftspartnern die Argumente aus, so wird als letzte Waffe oft die vernichtend gemeinte Frage gestellt: „Haben Sie eigentlich eigene Kinder?“

Besonders im akademischen Mittelschicht-Milieu schwelen subtile Feindseligkeiten zwischen Mütterkolleginnen und kinderfreien Lehrerinnen. Im Berliner Stadtteil Moabit, einem „Problembezirk“, hatte ich viele Jahre in einem Kollegium mit mehrheitlich kinderfreien Kolleginnen zusammengearbeitet. Diese Schule zeigt in ihrer äußeren Gestaltung einen wachen Geist und geht mit engagierter Profilbildung auf die Probleme ihres sozialen Umfeldes ein. Die Kolleginnen arbeiten überwiegend Vollzeit und finanzieren sich ihren Sozialstatus eigenständig, größtenteils ohne einen besserverdienenden Partner. Nach meiner Umsetzung bot sich mir im „grünen“ Zehlendorf, dem reichsten Bezirk Berlins, ein ganz anderes Bild.

Ich und drei bis vier weitere Kolleginnen sind die einzigen kinderfreien Frauen im Kollegium. Nur wenige Kolleginnen arbeiten Vollzeit; das Eigenheim, die Kinder und die Versorgung des Mannes stehen bei den meisten im Vordergrund. Ich erlebe jetzt, daß sich Kolleginnen als dreifache Mutter anpreisen, um daraus ihre Fähigkeiten für besonders guten Unterricht abzuleiten. Ein anerkennendes „Oh!“ der Eltern beim Aufzählen der Kinderzahl bestätigt das abstruse Netzwerk dieses „Elternklubs“.

Wie oft aber die „Mütterkolleginnen“ nach Unterrichtsschluß noch vor den Schülern nach ihrer Tasche greifen, um als erstes das Schulgelände zu verlassen – um Haus, Kinder und Mann zu versorgen! Sie können oder wollen sich nicht mehr hundertprozentig auf die so notwendigen Gespräche mit Kolleginnen, Eltern und Kindern einlassen. Am Abend warten ja ohnehin noch die zum Pflichtprogamm gehörenden Korrekturen, heißt es. Die Familie zu Hause ist eine unanfechtbare Rückzugsmöglichkeit.

Neben wenigen engagierten Mütterkolleginnen sitzen dann überwiegend kinderfreie Lehrerinnen noch lange nach Unterrichtsschluß als wandelndes schlechtes Gewissen in der Schule, räumen rum, gestalten, sortieren, bessern aus, diskutieren, planen, entwickeln und halten eine lebendige Schulgemeinschaft in Gang. Die schon entfleuchten Mütterkolleginnen haben ihnen beim Abschied womöglich noch einige Spitzen zugeworfen: „Habt ihr kein Zuhause?“ oder „Ihr könnt euch euer Engagement erlauben, weil ihr keine Kinder habt!“ oder „Sollen wir euch hier ein paar Betten aufstellen?“

Mit einem ständigen Blick auf die Uhr und drängenden Bitten um schnelles Durchziehen der Themen blockieren Mütterkolleginnen auch oft eine seriöse Konferenz- und Gremienarbeit. Die Berufsleidenschaft vieler kinderfreier Kolleginnen stellt für Mütterkolleginnen häufig eine Bedrohung dar, was in zum Teil sehr beleidigenden Abgrenzungen zum Ausdruck kommt. Einsatz im Beruf wird als Kompensation für fehlende Auslastung durch Kinder abgewertet. So stellt zum Beispiel eine Kollegin nach einem distanzierten, aber dennoch genauen Blick in den Klassenraum meiner ersten Klasse fest, daß sie die Kinder lieber „intellektuell“ anspreche als durch ein buntes, wohnzimmerähnliches Klassenzimmer.

Wenn Lehrerinnen ihre eigene Mutterschaft als wichtigste Qualifikation in den Vordergrund stellen, wird damit der Beruf abgewertet. Vielleicht wäre das nicht möglich, wenn in Grundschulen hauptsächlich Männer unterrichten würden.

Einer Kollegin wurden die Fortbildungstage zur Weiterbildung für die Montessori-Arbeitsmethode von der Schulleitung und dem Schulrat zuerst nicht genehmigt. Fast zeitgleich erteilten dieselben Funktionsträger jedoch einer anderen Kollegin die Genehmigung für einen viertägigen Sonderurlaub nach Mexiko, damit sie dort ihrer Tochter unterstützend bei der Geburt ihres Enkelkindes zur Seite stehen konnte. Erst nach einem Protestbrief an das Landesschulamt wurde die berufliche Fortbildung dann doch bewilligt.

Ich habe eine Weile gebraucht und eine Menge einschlägiger Literatur verschlungen, bis ich mich selbst von dem Klischee befreien konnte, zu einem vollkommenen Leben als Frau gehöre automatisch die Mutterschaft. Die Geburt eines Kindes bringt nicht unausweichlich eine emotional tragende Mutterschaft mit sich. Und eine Frau kann ebenso „geistige Kinder“ gebären, die eine vergleichbare bedeutsame Hinterlassenschaft für die Nachwelt darstellen können wie leibliche Kinder. Maria Montessori zum Beispiel hat ausgesprochen einfühlsame Lehrmethoden für Kinder entwickelt, obwohl ihre eigene Mutterschaft ein nur entferntes, zweifelhaftes Verhältnis zu ihrem Kind möglich werden ließ.

Mir jedenfalls legt mein Mann zum Muttertag immer einen Schokoladenkäfer auf den Frühstücksteller: als Anerkennung für meinen Umgang mit Paten-, Geschwister-, Freundes- und Schulkindern. Auch wenn mich meine Schüler nur aus Versehen mal mit „Mama“ anreden. Anonym

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