piwik no script img

Kein Verständnis

■ Uwe Seelers Zeit als HSV-Präsident geht heute zu Ende

Schon die Kür des Kandidaten war eigentlich eine Farce. Der HSV stand nach einem verpatzten Saisonauftakt auf einem Abstiegsplatz und Trainer Benno Möhlmann unter dem Beschuß der Presse, ebenso wie sein Präsident Ronald Wulff. Ein Retter mußte her. Was also lag näher, als das Fußball-Idol der fünziger und sechziger Jahre zur neuen Ober-Rothose zu schreiben? Alle waren sich einig, daß nur Uwe Seeler den Verein wieder zu alter Größe führen könnte.

Lange zierte sich der Geehrte, bevor er zustimmte. Doch am 28. August 1995 stellte er sich mit den Worten „ich mache es“ zur Verfügung. Ganz entgegen der Empfehlung seiner Familie. So riet ihm sein Vater Erwin ab: „Junge, laß die Finger davon, das gibt hinterher nur auf den Kopf.“ Die prophetischen Worte trafen ein. Wenn heute mit dem letzten Spiel der laufenden Saison die kurze Ära des 72fachen Nationalspielers als Präsident zu Ende geht, kann Seeler nicht von sich behaupten, dem Club entscheidende Impulse gegeben zu haben.

Vom Präsidium, das der Vizeweltmeister von 1966 zusammenstellte, ist er als einziger übriggeblieben. Zu viele Skandale und Unregelmäßigkeiten, zu viele Verleugnungen und Vertuschungen hat es in seiner Amtszeit gegeben. Unvergessen die Häme, die über den Verantwortlichen ausgekübelt wurde, als sie lagerhallenweise auf Jutetaschen und Autopolitur sitzenblieben. Nicht alles ließ sich unter dem Namen HSV verkaufen. Dafür vieles einkaufen.

Für 19 Millionen erwarb der Club in Ostdeutschland Immobilien, die den Spielern als Kapitalanlage angeboten wurde. Aber nur einer griff zu. Genüßlich rechnete die Morgenpost vor, wieviel die Gebäude tatsächlich wert waren. Schnell stieß man die überteuerte Ware wieder ab – zum Einkaufspreis. Mutmaßlicher Käufer war derjenige, der den ganzen Transfer verbockt hatte: Schatzmeister Jürgen Engel. Der Hotelier hatte zu diesem Zeitpunkt seine Schäfchen bereits im Trockenen. Doch die Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen gegen ihn ein, da er eine Provision von 993.000 Mark aus der HSV-Kasse zu unbekannten Zwecken abzweigte. Er mußte, zusammen mit Vize-Präsident Volker Lange, gehen.

Auch vereinspolitisch war Seeler nicht sehr erfolgreich. Den ersten Satzungsentwurf, der aus dem Präsidium einen Vorstand machen sollte, zerriß Ex-Präsident Wolfgang Klein in der Luft: „Das ist alles Schrott.“ Dabei stammte der Vorschlag, wie der Verein in ein Wirtschaftsunternehmen zu überführen sei, von Volker Lange. Seeler war nur die vorgeschobene, „mythenbeladene Gallionsfigur“, wie die taz damals schrieb. Der zweite Wurf wurde schnell durchgeboxt. Seeler stellte ultimativ klar: „Wenn der nicht durchkommt, trete ich zurück.“ Die Erpressung der Vereinsmitglieder klappte bald ein zweites Mal. Die neue Satzung sieht die Wahl eines Aufsichtsrat vor. „Im Interesse des Vereins warne ich davor, daß hier Mitglieder organisiert werden“, setzt er, erneut mit einer Rücktrittsdrohung verbunden, auf der Jahreshauptversammlung im November 1996 seine Kandidaten durch – die ihn kontrollieren sollten.

Nach dem Abgang von Lange und Engel tat Seeler einen seiner wenigen Glücksgriffe. Er beförderte den vormaligen Aufsichtsrat Werner Hackmann zum geschäftsführenden Vorstandsmitglied. Der ehemalige Innensenator brachte den Verein wieder halbwegs auf Vordermann.

Was aber ist das Erbe der knapp drei Jahre währenden Präsidentschaft des heute 61jährigen? Der HSV hat, nach Angaben des Abendblattes, 3 Millionen Mark Minus in der Kasse. Er dümpelt weiterhin im Mittelfeld der Bundesliga, und daß, obwohl Volker Lange bei Amtsantritt verkündete: „Bis zum Jahr 2000 wollen wir die Bayern erreicht haben.“ Felix Magath, zunächst zusammen mit Seeler als Retter gefeiert, wurde vor einem Jahr entlassen. Er schaffte es nicht, die erhofften sportlichen Ziele zu erreichen. „Ich gehe nicht im Zorn“, verkündet Seeler heute, „wenn ich auch für viele Dinge kein Verständnis habe.“ Seine Verdienste als Sportler um den HSV bleiben unbestritten. Jetzt tut er dem Verein mit dem Rücktritt ein letztes Mal etwas Gutes.

E. Spohd

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen