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Gesetzlich geschützt

■ Bald werden Psychologen mit Medizinern gleichgestellt. Unklar ist allerdings, welche Therapien die Krankenkassen dann noch finanzieren

Nach über 20jähriger Debatte ist es soweit: Das Psychotherapeutengesetz wird am 1. Januar 1999 in Kraft treten. Davon sind auch die rund 600.000 PatientInnen betroffen, die laut Schätzungen des Berufsverbandes Deutscher PsychologInnen (BDP) jährlich eine kassenbezahlte Therapie durchlaufen.

Für KassenpatientInnen führen bislang drei Wege zur Therapie: Sie können sich direkt an einen der rund 7.600 „ärztlichen Psychotherapeuten“ wenden (Mediziner mit einer psychotherapeutischen Zusatzausbildung), die ihre Behandlung direkt mit der Kasse abrechnen. Wollen sie sich hingegen von einem der rund 5.500 „psychologischen Psychotherapeuten“ behandeln lassen, DiplompsychologInnen mit psychotherapeutischer Zusatzausbildung, muß bislang ein „delegationsberechtigter Arzt“ diese Therapie an ihn weiterleiten. Dies soll sich nun ändern. Die Psychologen sollen den Medizinern gegenüber den Krankenkassen gleichgestellt werden. Der dritte Weg, das sogenannte Kostenerstattungsverfahren, soll ab 1999 hingegen ganz wegfallen: Einzelne Kassen haben bislang auch Therapien der rund 5.000 weitergebildeten Diplompsychologen finanziert, die das sogenannte Delegationsverfahren abgelehnt hatten.

Darüber hinaus wird der Begriff „Psychotherapeut“ gesetzlich geschützt. Auch das hat Auswirkungen für die Patienten: Die wissenschaftlich anerkannten Therapieformen werden vorraussichtlich stark eingeschränkt. Nur diese werden jedoch von den Kassen finanziert. Welche Verfahren zur Kassenabrechnung zugelassen werden, soll eine Kommission des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen noch in diesem Jahr entscheiden. In dieser Kommission wird die Ärzteschaft jedoch ein deutliches Übergewicht haben. Der BDP, der sich für das Gesetz stark gemacht hat, kritisiert diese Vorgehensweise in seinen „Informationen Deutscher Psychologen“: „Es kann im ausgehenden 20. Jahrhundert nicht mehr angehen, daß die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) ex cathedra darber entscheidet, welche von der Psychologie (nicht der Medizin!) entwickelte Methode als wissenschaftlich gelten darf und welche nicht.“ Der BDP warnt deshalb die zuständigen Länderbehörden davor, der KBV und einzelnen Psychotherapeutenverbänden bei ihren Forderungen nach Beschränkungen nachzugeben: „Diese Bestrebungen nach Ausschaltung von Therapieverfahren verfolgen lediglich den Zweck, die Pfründe ihrer Klientel zu sichern und Konkurrenten fernzuhalten.“

Es zeichnet sich eine Zulassungsbeschränkung für kassenfinanzierte Therapien auf Psychoanalyse sowie Verhaltenstherapie ab. Hans-Werner Drewe, Pressesprecher des BDP, führt das auf historische Entwicklungen zurück: „Die Verhaltenstherapie ist aus ärztlicher Sicht eine angenehme Methode, bei Psychologen jedoch wenig verbreitet.“ Da sie auf der Lerntheorie fuße, könne diese Therapieform auch Medizinern schnell vermittelt werden.

Bei der Verhaltenstherapie geht man davon aus, daß die meisten Verhaltensweisen des Menschen, also auch negative Haltungen, nicht angeboren sind, sondern erlernt wurden. Daher wird analysiert, warum der Klient diese Gewohnheiten angenommen und erhalten hat. Mit Techniken wie systematischer Desensibilisierung, Selbstsicherheitstraining oder Selbstkontrollverfahren sollen konkret nachweisbare Veränderungen bewirkt werden.

Die Psychoanalyse ist als der Klassiker unter den Therapien durch sich selbst legitimiert. Der Neurologe und Psychiater Siegmund Freud entwickelte Anfang dieses Jahrhunderts die Grundprinzipien dieser Methode. Die analytisch orientierte, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie befaßt sich vor allem mit unbewußten Beweggründen menschlichen Verhaltens, der Art und Weise, wie Menschen von klein auf lernen, sich und ihre Umwelt wahrzunehmen, sowie den Ängsten und Blockaden, die sie daran hindern, sich ihrem Wesen gemäß zu entwickeln. Der Psychotherapeut deutet freie Assoziationen, Träume und Reaktionen des Patienten. So lassen sich unbewußte Phänomene, die aktuelle Gefühle und Verhaltensweisen des Patienten bestimmen, einer bewußten Auseinandersetzung zuführen.

Andere Therapieformen, die vom BDP anerkannt werden, werden vorraussichtlich nicht mehr von den Krankenkassen finanziert. So die von Fritz Perls begründete Gestalttherapie, die den Menschen als eine Ganzheit betrachtet, die sich nicht in „Leib“ und „Seele“ aufspalten läßt. Gestalten, Formen und Muster werden immer vor einem bestimmtem Hintergrund wahrgenommen, und ebenso haben auch unsere Gefühle und Erfahrungen ihren Bezugsrahmen in konkreten Lebens- und Familensituationen. Gestaltarbeit will den Entstehungshintergrund mit dem Problemvordergrund in Verbindung bringen, damit dieses Erleben verstanden werden kann.

Damit solche Ansätze ab nächstem Jahr nicht allein von den Patienten bezahlt werden, „müssen internationale Therapieforscher statt Interessenvertreter in die Entscheidungskommission berufen werden“, fordert Drewe. Lars Klaaßen

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