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GAL-Fraktionsvize Martin Schmidt: Wrocklage ist derjenige, der sich einer politischen Debatte entzieht

as war natürlich eine Steilvorlage für den Innensenator. Eine seiner härtesten Kritikerinnen und unaufhörliche Mahnerin in der gemeinsamen Koalition verläßt – nach einer Auseinandersetzung um ein Senatspapier – resigniert die Bürgerschaft, garniert ihre Resignation mit heftiger, auch ungerechter Kritik an der GAL und der Regierungspraxis überhaupt.

Da paßt dann alles ins Weltbild: die Frau, deren Positionen zwar politisch sind, aber nicht Politik, die nur der Political correctness verpflichtet ist und nicht der Realität. Und so stellt sich Hartmuth Wrocklage in die Pose des Verantwortungspolitikers und spinnt sich aus, was er so alles denken würde, wenn er Anna Bruns wäre.

Ich könnte nun beidrehen und sagen: Ja, lieber Hartmuth, auch ich habe Anna Bruns kritisiert wegen ihrer Äußerungen zu der Senatsdrucksache, der jetzt schon das Etikett „grünes Bettlerpapier“ anhaftet wie eine Edelmarke. Das war eine Art Gesinnungsterror. Und natürlich hat sie, wie viele von uns, ja wie alle Menschen auch im privaten Leben, die Sehnsucht, mit schöneren, „korrekten“ Worten böse Dinge wegzuretuschieren.

Aber wenn es das wäre, wäre es doch ein bißchen billig. Die politische Gegenwart Hamburgs verbietet die Reduzierung des von Anna Bruns dargestellten und personifizierten Konflikts auf den Gegensatz von Gesinnung und Verantwortung, in dem sich „Verantwortungspolitiker“ so gerne sehen.

n Sachen Koalition hat Wrocklage einen besonders guten Tip für die Grünen bereit, der so ähnlich klingt wie der von Wwe. Voscherau sel. Die Politik bleibt die gleiche, nur die GAL lernt, die Welt anders zu interpretieren (nach den Feuerbach-Thesen bekanntlich eher eine philosophische als politische Tätigkeit). Der gute Rat wird besonders plausibel, wenn Wrocklage uns noch mitteilt, daß die Politik eigentlich nicht viel bringt (die Probleme „anerkanntermaßen nicht lösen wird“). Für einen Behördenchef auch eine ziemlich resignierte Aussage. Im Jargon der ewigen Behördenbürokraten hieße das dann wohl so: Wir haben die FDP überstanden, die Statt Partei erledigt, und die GAL überleben wir auch. Ich gebe zu, daß ich manchmal fürchte, es könnte so kommen; Martin Schmidt niemand anderes als der Interpret der alten Verkehrspolitik.

Aber angetreten ist die GAL, und zwar wir alle in der GAL, nicht, um endlich zu verstehen, was die Welt im Innersten zusammenhält, sondern um bestimmte politische Strukturen zu ändern. Da ist der eine pragmatischer, die andere moralischer im Vorgehen und im Reden. Und natürlich kann man nicht vorwärts kommen, ohne Zusammenhänge immer neu zu begreifen und Irrtümer zu revidieren. Aber man darf, auch wenn man schon 60 ist, noch wünschen, daß Ziele eher erreicht werden, daß es etwas schneller geht. Für die GAL im ganzen gebe es keine Existenzberechtigung in der Koalition, wenn wir nicht sagen könnten, warum wir mitregieren.

Nun will ich nicht behaupten, daß da gegenwärtig nichts wäre. Aber wie es in einer Koalition geht, erscheinen auch Erfolge der GAL meist als Erfolge der ganzen Regierung. Und worüber es keinen Krach gegeben hat, das ist auch keine große Nachricht wert. So kann niemand leugnen, daß die allgemeine Beurteilung der Koalitionsarbeit derzeit so ist, daß die Leute sagen: Gut, sie streiten nicht, aber viel raus kommt bislang auch nicht. Und das nervt bei uns halt mehr als bei den leidgeprüften und abgebrühten Sozialdemokraten.

n dem „Handlungskonzept“ zu St. Georg/ Hauptbahnhof wird das Problem direkt deutlich. Die Kritik von Anna Bruns war in einigen Punkten hoch realistisch. Sie wollte, daß der Senat sich schneller darauf einigt, daß in St. Georg, dem derzeitigen Brennpunkt der Drogenszene, schneller neue Drogenräume aufgemacht werden. Und daß der Senat nicht weiter, wie vor der Wahl, so tut, als sei der massive Polizeieinsatz die Lösung. Alle Leute wissen, und Wrocklage sagt es längst selbst, daß in den letzten Jahren dort die Probleme durch die Polizei nicht gelöst wurden, nur die Symptome verändert, und daß im übrigen eine Verlagerung zum Schanzenviertel stattgefunden hat. Dort ist erst ein Problem, wenn nicht neu entstanden, so doch drastisch verschärft worden. Und was wäre eigentlich passiert, wenn die Innenbehörde in der Drucksache auch davon geschrieben hätte, welche inneren Probleme durch ihre Tätigkeit sich für die Polizei ergeben haben? Gilt immer nur das Lob des eigenen Handelns, oder hätte im Rückblick über das Handeln der letzten Jahre nicht auch von den Anlässen des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses Polizei die Rede sein können? Was hätte näher gelegen als von der Innenbehörde einen pragmatischeren Ansatz zu erwarten? Ist es Gesinnungsethik oder Fundamentalismus, wenn man genauere, realistischere, selbstkritischere Beschreibungen der Wirklichkeit auch in Behördenpapieren wünscht? Sind nicht der Stil und die Wortwahl von Behördenpapieren hochgradige Political correctness?

Genau genommen entzieht sich Freund Wrocklage mit der Konstruktion der Arbeitsteilung zwischen Anna Bruns und ihm (hier Moral, dort Politik) der politischen Debatte über das, was richtig und falsch ist. Allein die Tatsache, daß sich die Senatsdrucksache zwischen Entwurf und der endgültigen Verabschiedung verändert hat – und zwar durchaus auch wegen und im Sinne von Anna Bruns – spricht dagegen, daß Wrocklages Kategorien der Sache ausreichend gerecht werden. Sie spricht freilich auch gegen die von Anna Bruns propagierte Erfolglosigkeit ihres und allen grünen Handelns.

Moral ist eine Instanz, die den Blick auf die Welt (auch auf Behördenpapiere) prägt und schärft, Erwartungen schafft und Normen verändert. Freilich ist sie auch, wie jeder Pragmatismus, immer in der Gefahr, Illusionen und Täuschungen zu erliegen. Denn es war auch den Kategorien von Moral unterworfen, in der Auseinandersetzung um den richtigen politischen Weg vom „grünen Bettlerpapier“ zu sprechen und dann den Bettel hinzuschmeißen. Martin Schmidt

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