: Lieder für Anrufbeantworter
■ Kitsch kann vorkommen. Tom Liwa und die Leute aus dem Paradies der Ungeliebten gehen auf Tournee. Die Reihenfolge wird ausgelost
Was wäre, wenn die Welt glücklich wäre, alle mit sich im reinen, ohne Probleme und Zweifel? Lieder wie die von Tom Liwa gäbe es keine mehr. Auf den Straßen, in den Kneipen und Cafés würde man nur noch lustigen Techno hören. Aber was, wenn von so viel Klarheit jemandem schlecht würde? Heimliche Trauer? Anonyme Melancholiker? Es gäbe eine bessere Medizin: Das „Paradies der Ungeliebten“, eine CD, von Tom Liwa zusammengestellt, nach einem Reptilienzoo benannt, für schlechte Zeiten. Mit Musik und warmen Worten von Liedermachern und Liedermacherinnen drauf, die uns das Gefühl geben, daß da jemand ist, wenn der Sand knapp wird, in den man den Kopf stecken kann.
Diese Platte klingt, als hätte Tom Liwa am Küchentisch seine Freunde gebeten, ihm mal kurz das Lied vorzuspielen, das sie gestern geschrieben haben. Und so war es: Dazu aufgefordert, solo, mit höchstens einem Instrument ein Lied zu singen, das noch nicht veröffentlicht ist, hat Dirk von Lowtzow von Tocotronic seinen Song durchs Telefon auf einen Anrufbeantworter, Max Müller von der Berliner Band Mutter einfach auf einen Kassettenrekorder gesungen.
Es kann kein Zufall sein, daß hier nur Musiker versammelt sind, die nicht gerade der Karnevalsfraktion unter den Helden deutschsprachiger Popmusik angehören. Blödels wie Bernd Begemann oder der sympathische King Rocko Schamoni fehlen. Die Altbekannten sind sogar noch „wat schwerer“, sagt Liwa, als sonst: „Ach mein Herz was schlägst du so, hast du noch nicht genug? Es ist doch nur das alte Lied von Liebe und Entzug“ singt Christiane Rösinger, Ex-Lassie Sängerin und jetzt wichtiger Teil ihrer Post-Riot- Band Britta. Sie ist die einzige Frau auf dem Sampler, die sich nicht wie Liwas Frau Alexandra Gilles Videla fragt: „Wie wird man unsichtbar?“, die sich nicht hinter ihrer klassischen Gesangsausbildung oder englischen Texten versteckt, sondern Mut hat, Gefühle zu zeigen, die Kitsch sein mögen, aber vorkommen.
Es sind kaum die bisher Unentdeckten wie Tom Liwas Gesangslehrerin, sondern eher die alte Garde, Liwa selbst oder Tilman Rossmy, die glänzen, deren „Geheimnis ist, daß da keins ist“. Die unermüdlich nach der Poesie des Alltäglichen suchen, nach dem mikroskopischen Blick auf den hochgeschlagenen Kragen oder die vernagelten Fenster nebenan. „Zugegeben, das sind alte Hippie-Positionen. Klar haben die Leute schon vor dreißig Jahren gesagt, die Revolution fängt vorm Badezimmerspiegel an. Aber das ist verdammt noch mal wahr“, meint Tom Liwa.
Nun sollen sich alle am Album Beteiligten kennenlernen. Auf einer fünfzehntägigen Tournee, auf die das Paradies der Ungeliebten jetzt geht, wird fast jeder dieser achtzehn „irren Anachronisten“ an jedem Abend mit nur zwei Stücken auftreten. Um Profilneurosen zu vermeiden, wird vor jedem Abend die Reihenfolge ausgelost werden. Wie man mit Zugaben umgehen wird, wird sich zeigen, auch, wer sich in wen verlieben und wer wem den Hals umdrehen wird. Sicher ist nur, daß wir uns genüßlich der Illusion hingeben werden, daß der da vorn extra für uns gekommen ist, sich für uns allein auf den Hocker schwingt, um uns dieses Lied vorzusingen, daß er gestern nur für uns geschrieben hat. Susanne Messmer
12.5. Köln, 13.5. Marburg, 14.5. Frankfurt, 15.5. Weinheim, 16.5. Regensburg, 17.5. München, 18.5. Nürnberg, 19.5. Leipzig, 20.5. Berlin, 21.5. Hannover, 22.5. Hamburg, 23.5. Kiel
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