Indien bombt sich versuchsweise in die Isolation

■ Weltweite Kritik an den drei indischen Atomtests: USA verhängen Sanktionen, Deutschland erwägt denselben Schritt. China und Pakistan denken über militärische Gegenmaßnahmen nach

Bonn/Tokio/Washington (rtr/ AFP/AP) – Die drei unterdirdischen indischen Atomtests haben eine Protestwelle ausgelöst, die gestern über den ganzen Erdball ging. Mehrere Staaten haben die Streichung von Entwicklungshilfe und Krediten für das Land angedroht. US-Präsident Bill Clinton kündigte Sanktionen gegen Indien an. Die gesamte Palette von Strafmaßnahmen werde zum Einsatz kommen, sagte er. Das US-Recht sieht für diesen Fall unter anderem die Einstellung der staatlichen Entwicklungshilfe vor. Möglich ist auch die Einstellung von Krediten der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF).

Die Bundesregierung sagte für gestern geplante Gespräche mit Indien über weitere Entwicklungshilfe ab. Entwicklungshilfeminister Carl-Dieter Spranger erklärte, Deutschland werde nun in der Europäischen Union und mit den anderen führenden Industriestaaten darüber beraten, wie man reagieren solle.

China erklärte, die Versuche „laufen dem internationalen Trend entgegen und sind für den Frieden und die Stabilität in Südasien von Nachteil“. Unklar blieb, ob China nun seine Atomtests auch wieder aufnehmen wird. Die indischen Tests wurden in der Region als Affront gegen China gewertet, nachdem der Verteidigungsminister Indiens, George Fernandes, kürzlich erst erklärt hatte, Indien habe zu lange die chinesische Bedrohung ignoriert. Nach Ansicht des japanischen Rüstungsexperten Masashi Nishihara könnte China sich nun gezwungen sehen, sich aus bestehenden Atomverträgen wieder zurückzuziehen – zum Beispiel dem 1996 unterzeichneten Atomteststoppabkommen.

Der pakistanische Ministerpräsident Nawaz Sharif erklärte, Pakistan habe als souveräner Staat das Recht, eigenständig über alle für die nationale Sicherheit notwendigen Maßnahmen zu entscheiden. Außenminister Gohar Ayub Khan sagte, Pakistan habe die technischen Mittel, um auf jede Bedrohung zu reagieren. Die pakistanische Presse zitierte den Vater des nationalen Atomforschungsprogramms, Abdul Qadeer Khan, mit den Worten, er warte nur auf Anweisungen der Regierung, um einen Atomtest auszuführen.

Japan, das als einziges Land Opfer von Atomwaffen wurde, erklärte, es erwäge die Einfrierung von Krediten. Japans Ministerpräsident Ryutaro Hashimoto beklagte, daß Indien selbst ein persönliches Schreiben von ihm ignoriert habe, in dem er bereits vor sechs Wochen gedrängt habe, die Tests nicht wiederaufzunehmen. Beobachter fürchten, daß Japan sich nun gezwungen sehen könnte, sein konventionelles Waffenarsenal auszubauen. Die USA drängen Japan seit längerem, daß Japan sich an einem Raketenabwehrprogramm beteiligt. Japan ist wegen der hohen Kosten bisher dagegen.

Kritik an den Atomtests kam auch von Rußland, Frankreich, Großbritannien, Australien und Neuseeland. Rußlands Atomenergieminister Wiktor Michailow dementierte einen Bericht der New York Times, wonach Rußland Indien mit der notwendigen Technologie zum Bau von Atomwaffen versorgt habe.

Malaysia, Indonesien, Korea und Thailand äußerten die Befürchtung, daß die Stabilität in der Region in Gefahr geraten könnte. UNO-Generalsekretär Kofi Annan bedauerte, daß das faktische Moratorium für Atomtests seit 1996 nun verletzt worden sei.