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Buddha lächelt, während die Erde bebt

Die indische Öffentlichkeit ist mächtig stolz auf die drei am Montag durchgeführten Atomtests. Kritische Stimmen zur Atompolitik der Regierung sind im Land Gandhis dagegen kaum zu vernehmen  ■ Aus Delhi Bernard Imhasly

„Buddha hat gelächelt“. Es war das Losungswort, das am 18. Mai 1974 – Gautama Buddhas Geburtstag – der indischen Premierministerin Indira Gandhi die erlösende Nachricht brachte: Der erste indische Atomtest war erfolgreich verlaufen. 24 Jahre später fiel der Geburtstag des Religionsstifters gemäß indischem Kalender auf den 11. Mai – und wieder lächelte Buddha. Um 15.45 Uhr explodierten in der Wüstengegend von Pokharan drei nukleare Sprengsätze, erklärte Premier Atal Behari Vajpayee mit mühsam unterdrücktem Stolz. Sie haben Indien mit einem Schlag in den Klub der Atomstaaten katapultiert. Zwar hatte bereits die Explosion von 1974 das Land zum „Schwellenstaat“ gemacht. Doch damals hatte Premierministerin Gandhi der Weltöffentlichkeit noch versichert, es sei ein Atomversuch für „friedliche Zwecke“. Auch diesmal mußte der friedliebende Buddha herhalten, doch niemand spricht mehr von einer „friedlichen Bombe“.

Indische Zeitungen bejubeln die Superbombe

Vajpayee überließ es seinem Spitzenbeamten Brajesh Mishra, Klartext zu reden. Die Tests haben nachgewiesen, daß „Indien eine nukleare Waffenfähigkeit“ besitzt, sagte er. Die Regierung sei tief beunruhigt über das „atomare Umfeld in seiner Nachbarschaft“. Der laute Knall in der Wüste von Rajasthan habe die Sicherheit wiederhergestellt.

Die meisten Zeitungen jedenfalls jubelten, allen voran der regierungstreue Pioneer, der von einer „Explosion des Selbstwertgefühls“ sprach. Selbst der normalerweise nüchterne Hindu titelte „Eine Zurückweisung der nuklearen Apartheid“. Experten rechneten ihren Lesern unter dem Titel „Das ist eine Superbombe“ vor, daß die drei gleichzeitig durchgeführten unterirdischen Versuche mit unterschiedlichen Ladungen und Spaltmaterialien Indien buchstäblich mit einem Schlag vom nuklearen Habenichts zum „Mitglied der großen Atomstaaten“ verwandelt hätten.

24 Jahre lang hatten die Inder in ihrer nuklearen Doppeldeutigkeit verharrt – sie hatten mit der ersten Explosion ihre Fähigkeit unter Beweis gestellt, aber niemand wußte, ob sie ihr Programm weitergeführt hatten. Dieser strategische Halbschatten gab Indien eine gewisse Abschreckungsmacht, vor allem gegenüber Pakistan. Gleichzeitig erlaubte er es ihm, als Land Buddhas und Gandhis für eine atomwaffenfreie Welt einzutreten. Doch diese Vorteile drehten sich in ihr Gegenteil um. Die Abschreckung wurde immer weniger ernst genommen. Mit seiner Ablehnung der Verträge zur Eindämmung der Atomwaffen – Sperrvertrag und Testverbot – kompromittierte Indien seine Position als Befürworter einer Welt ohne Atomwaffen.

Diese versucht das Land nun nachzuliefern. Nicht zuletzt aus diesem Grund wirkte die dreifache Explosion vom Montag im indischen Publikum mehr wie ein Befreiungsschlag als ein Schock. Warnende Stimmen wie jene eines Brahmanen aus Varanasi, der sagte, „nun ist der Dämon Kumbhakarma geweckt worden, und nichts wird ihn beruhigen, bis er sein Zerstörungswerk vollendet hat“, waren die Ausnahme.

Sogar Präsident K.R. Narayanan, soeben in New York als globaler Staatsmann ausgezeichnet, rief den Wissenschaftlern zu: „Indien ist stolz auf euch.“ Er fügte in staatsmännischer Logik hinzu: „Indien hat sich immer für eine Welt ohne Atomwaffen eingesetzt, und nun wird uns diese Leistung helfen, dazu noch stärker beizutragen.“ Auch die Oppositionsparteien gratulierten den Wissenschaftlern. Nur die Kommunisten hielten sich bedeckt: „Die Partei wird die Bedeutung dieser Nuklearexplosion sorgfältig studieren.“

Es ist ein Paradox dieses Landes, daß es trotz einer Tradition der Gewaltlosigkeit seine Armee verehrt, sich über Lecks in Atomkraftwerken kaum aufregt und Atombomben als Spieleinsatz im Kampf der Nationen betrachtet. Die Anti-Atom-Bewegung beschränkt sich auf einige Intellektuelle und Akademiker. Viele Linke und selbst Gandhianer halten sich bedeckt. Hinter diesem Bekenntnis zu Machtsymbolen verbirgt sich die Demütigung eines Landes, das vor fünfzig Jahren zu neuen Ufern aufgebrochen war und im Sumpf der Armut steckenblieb.

Einige Leitartikel sprachen dies gestern aus, als sie auf die „Scham“ eines stolzen Volks verwiesen, als Armenhaus der Welt dazustehen, überrannt von Terrorismus, Kastengewalt und religiösen Unruhen – „Doch nun kann sich Indien wieder ins Auge sehen“. Dazu der Pioneer: „Im Samthandschuh verbirgt sich eine eiserne Faust.“

Delhi stimmte indische Öffentlichkeit ein

Die neue hindunationalistische Regierung hatte die Testvorbereitungen zweifellos von ihrer Vorgängerin übernommen, gab aber das grüne Licht dazu. Sie hatte bereits in ihrem Wahlmanifest davon gesprochen, aber für die meisten waren es Wahlkampfparolen. Jetzt entpuppen sie sich als Teil sorgfältiger Planung. Die schrillen Töne von Politikern der letzten Wochen enthüllen im nachhinein die Absicht, das Publikum auf diesen Schlag vorzubereiten. Verteidigungsminister George Fernandes, noch immer bekennender Sozialist, hatte keine Gelegenheit ausgelassen, China als Indiens gefährlichsten Gegner zu markieren. Die Raketenbasen in Tibet seien eine ernsthafte Bedrohung, und Peking rüste mit seinen Raketenlieferungen Pakistan militärisch auf. Islamabads Test einer Mittelstreckenrakete gab Delhi dann Gelegenheit, das eingefrorene Projekt einer Kapazitätserhöhung seiner eigenen „Agni“-Rakete von 1.500 auf 2.500 Kilometer wiederzubeleben. Der berühmt-berüchtigte A.Q. Khan, dessen Blaupausen- Spionage Pakistan an die Schwelle der Atomreife brachte, lieferte Mitte April die letzte Rechtfertigung für die langfristigen Vorbereitungen der indischen Regierung. Er warte nur noch auf den Anruf aus Islamabad, sagte der Direktor der Waffenschmiede Khan Laboratories, um einen pakistanischen Atomtest zu lancieren. Nun ist ihm sein indischer Kollege Abdul Kalam zuvorgekommen.

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