Island-Saga aus Wellblechbaracken

■ Neu im Kino: „Devil's Island“ von Fridrik Thor Fridriksson / Schöne Fiaskos

In den fünfziger Jahren ist Amerika überall das gelobte Land! Auch in Island, und dort besonders im Camp Thule, das von den Besatzungstruppen gerade verlassen wurde, so daß in ihre Wellblechbaracken die Obdachlosen einziehen können. Einige G.I.s schnappen den Isländern noch zum Abschied die schönsten nordischen „Fräuleins“ weg („Sie nehmen uns die Frauen – aber wir trinken ihr Bier“), und so glaubt auch Gogo Tomasson das große Los gezogen zu haben, weil sie frischvermählt mit ihrem Gatten in die USA auswandern darf, während ihre Familie im Matsch von Camp Thule steckenbleibt. Dieser Riß durchzieht die gesamte Familiensaga, die Fridriksson in diesem Film erzählt: Die jungen Isländer träumen vom reichen Amerika, kauen Chewing-gum und spielen Rock'n'Roll, während ihre Eltern nur ohnmächtig zusehen können, wie die isländische Kultur zum lächerlichen Anachronismus verkommt.

Wie archaische Höhlengewölbe wirken die Blechhütten, die den Familien im Camp zugewiesen wurden. Und die Filmfiguren scheinen so überlebensgroß wie nordische Helden – nur daß bei ihnen die Schwächen und Laster so monumental sind wie bei jenen die Kräfte und Tugenden.

Gogos Sohn Baddi ist ein ewig betrunkener Aufschneider, und nach einem kurzen Besuch seiner Mutter in den USA wird er als selbstherrliche Elvis-Imitation gänzlich unausstehlich. Seine Schwester nörgelt ewig an ihrem willenschwachen Ehemann herum, sein Bruder Danni ist ein gehemmter Melancholiker und seine Mutter eine verrückte Hexe, die überall die Geister und Teufel furzen hört. Im Zentrum des Films steht der alte Toma, der seine Rolle als Familienoberhaupt gleich zu Beginn des Films auf den Punkt bringt: „Ich bin nicht der Herr des Hauses, ich zahl nur die Rechnungen!“

Im Grunde zeigt „Devil's Island“ nichts weiter als eine Abfolge von Katastrophen: Selbstmord, Irrsinn, finales Absinken in Alkoholismus; die Schöne heiratet den Falschen, und das häßliche Entlein stürzt, gleich nachdem es sich als prächtiger Schwan entpuppt hat, aus der Luft.

Überall nur Armut, schwachsinnige Besäufnisse und ewige Streitereien, und doch ist „Devil's Island“ alles andere als ein deprimierendes Sozialdrama. Denn Fridriksson inszeniert all das Elend so vital und grotesk, daß man zwar durchaus mit den Figuren leidet, dabei aber auch immer faszinierter zuschaut und gespannt auf das nächste Fiasko wartet.

Auf eine ganz eigene Weise erhebt sich der Film nicht über seine Protagonisten und das von ihm geschilderte Milieu. Man hat nie das Gefühl, Fridriksson führt hier die armen, dummen Asozialen vor, oder er beklagt (aus sicherer Warte von oben herab) das Unglück dieser Welt. Statt dessen ist der Film prall gefüllt mit wunderbar beobachteten Details – man kann sich gar nicht sattsehen an dieser grandiosen Häßlichkeit.

Bei jedem Lacher sieht man auch jemand aus der Familie mitlachen, und die wenigen Glücksmomente des Films sind so intensiv und wahrhaftig inzeniert, daß man die Familie Tomasson nicht als Opfer sieht, sondern als Helden in ihrem eigenen (zugegeben recht matschigen) Kosmos.

So ist es nur konsequent und alles andere als vermessen, wenn Fridriksson „Devil's Island“ mit einer Hommage an Charlie Chaplin beendet. Dessen Mischung aus Witz und Schmerz hat hier eindeutig Pate gestanden.

Wilfried Hippen

Cinema, tägl. 19 Uhr