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Downunder-Dramolette

Plot und Pleasure: Die australische Film- und Foto-Künstlerin Tracey Moffat inszeniert ihre Biographie als cineastische Bildreihe. Das Grauen kommt nicht schockhaft daher, es wird permanent im Alltag eingesetzt  ■ Von Rainer Metzger

Fotopapier ist geduldig. Als Tracey Moffat in den letzten beiden Jahren herumgereicht wurde unter den Groß- und Mittelausstellungen der internationalen Art Community, von der Biennale in São Paulo zur Biennale in Venedig, von der Frankfurter „Prospect“ zum Grazer „steirischen herbst“, konnte sie sich ganz auf ihr Leib- und Magenmedium verlassen. Immer und überall zeigte sie die gleiche Arbeit – vielleicht nicht die selbe Arbeit, denn mutmaßlich hat der eine oder andere Bogen, auf dem sie ihre Bild-Text-Kombinationen darbot, den Massentourismus nicht überstanden, aber eben die gleiche: „Scarred for Life“ betitelt, ein Zyklus von neun Minidramen über Pubertät und andere Stänkereien eines heranwachsenden Körpers, angesiedelt in der suburbanen Kleinbürgerwelt Australiens, jenem Milieu, dem die Künstlerin selbst entstammt.

Im Württembergischen Kunstverein Stuttgart gibt es nun mehr Moffat zu sehen und auch das Dementi zum zwei Jahre währenden Verdacht, es werde ein Talent verheizt, nur weil sich der Kunstbetrieb an jenem Stück Restexotik wärmen will, das diesen Downunder-Dramoletten nun einmal innewohnt. Tracey Moffatt, Jahrgang 1960, Absolventin des Queensland College of Art in Brisbane, seit 1982 in Sydney lebend, hat im Lauf ihrer 1986 begonnenen Karriere nicht eben viel produziert, ein knappes Dutzend Werke in Gestalt von kürzeren Filmen und kleineren Fotofolgen.

Was „Scarred for Life“ so anders, so anziehend machte, die Präzision des Plots, die Dezidiertheit des Mediums, die souveräne Verfügung über Haupt- und Subtexte, das kennzeichnet das ×uvre von Tracey Moffat durchaus im ganzen. Daß es „Scarred for Life“ von 1994 sein durfte, das die diversen Weltreisen antrat, mochte mit dem Trendigen zu tun haben, das das Thema umgab. Tracey Moffat legte mit dieser Arbeit jene „Narben fürs Leben“ offen, auf die die Zeitgenossen der Gegenwart gern aufmerksam machen, und sei es dadurch, daß sie sich tätowieren oder piercen lassen. Das Mädchen, das am Familien-Pkw poliert, und das, so weiß es der beigefügte Text, vom Vater immer „Nichtsnutz“ genannt wird; die junge Frau, dargestellt von Tracey Moffat selbst, die am Muttertag eine Ohrfeige bekommt, während, so wird erklärt, „die ganze Familie zusieht“; der Heranwachsende, der seine Aboriginal-Herkunft in Hemd und Krawatte kleidet, und gleichwohl keinen Job findet, wobei, so ist zu lesen, seine Mutter ein „vielleicht bist du nicht gut genug“ hinzufügt: In diesen Alltagsszenerien lauert ein Grauen, das nicht plötzlich und schockhaft auftritt, sondern als Permanenz und Penetranz von Generationenkonflikt oder Gleichheitswahn. Moffat fördert Grusel und Grausamkeit unter den Sedimenten der Normalität zutage.

Die Fotografie ist kombiniert mit einem Text, der für eine Art Handlung sorgt, für eine Einbettung ins Narrative und dadurch klar macht, daß die fotografierte Aktion exakt die Peripetie, den Höhepunkt des dargestellten Kleinstdramas erfaßt. Mit Arbeiten wie „Scarred for Life“ klinkt sich Tracey Moffat ein in die Konjunktur jener Erzählweisen, die der Chaostheorie des Lebens mit Überschaubarkeit, Kohärenz, Organisation und Zusammenhang begegnen.

Der Geschichte ein Ende liefern

Die neun Blätter von „Scarred for Life“ lassen sich jeweils als Filmstill mit Untertitel verstehen, und zwischen Matthew Barney, Pipilotti Rist oder Edgar Honetschläger ist das Kinematographische nicht der schlechteste Beweggrund für Karrieren in der Gegenwart. Die neun Geschichten von „Scarred for Life“ liefern jederzeit Nachvollziehbarkeit, sorgen für jenen Appell an die vitale Daseinserfahrung, der sich mit dem Prinzip Biografie verbindet. „Scarred for Life“ ist ein Zyklus und suggeriert damit Abgeschlossenheit, die Sicherheit, zum Anfang auch ein Ende geliefert zu bekommen: Wichtiger als die Frage, ob die Geschichte gut ausgeht, ist die Garantie, daß sie überhaupt ausgeht; derlei liefert sowieso nur noch die Kunst. Der Film ist das Leitmedium des 20. Jahrhunderts, und sollte dies inmitten der diversen (Wieder-)Geburten von Malerei oder Internet in Vergessenheit geraten sein, so drängt er sich im Moment mit Macht ins Bewußtsein.

Drei Filme im Kinoformat hat Tracey Moffat bisher gedreht: „Nice Colored Girls“ von 1987, 16 Minuten lang; „Night Cries“ von 1989, 19 Minuten; sowie „Bedevil“ von 1993 mit der abendfüllenden Dauer von eineinhalb Stunden. Der mittlere ist der relativ bekannteste und absolut dekorierteste, er wurde unter anderem in Cannes gezeigt. „Night Cries“ erzählt vom Sterben und endet mit ihm: Eine alte Frau, liebevoll gepflegt von ihrer Adoptivtochter, vollendet ihr Sein zum Tode. Die alte Frau ist ebenso offensichtlich weiß wie die junge Aboriginal ist. Eine spezifische Situation, eine genuin australische: Nach dem Zweiten Weltkrieg startete das Land eine Sozialisierungskampagne für die Ureinwohner; es sah vor, daß Aboriginal-Kinder von den europäischen Immigranten adoptiert und damit dem Kreislauf von Elend und Rassismus entzogen würden. Das Wissen davon setzt der Film voraus. „Night Cries“ hat eine „Family of Men“-Botschaft: Die Trauer der Tochter und die Ausweglosigkeit des Sterbens setzen sich über Apartheiten hinweg.

Was „Night Cries“ zeigt, ist Tracey Moffats eigene Biographie. Sie ist die Tochter eines Weißen und einer Aboriginal, die selbst in einer Kleinbürgervorstadt Brisbanes bei Adoptiveltern aufwuchs. Man sieht ihr die genetische Herkunft kaum an, und sie selbst macht auch keine große Geschichte daraus. Man sieht ihr dafür die Sozialisation an, und davon erzählt sie um so ausführlicher. Tracey Moffat redet von ihrer intellektuellen Biographie und nicht von der aktuellen. Sie ist, wie alle um 1960 in der westlichen Welt Geborenen, ein Produkt der Massenkommunikation, ein Kind von Mars und Coca- Cola und der diversen Seifenopern und sonstigen Desaster, die das Fernsehen zu bieten hatte. Daher, sagt sie, komme ihr Faible für Bilder, für die Konstruiertheit des Visuellen und die Künstlichkeit der Plots. Wenn Tracey Moffats künstlerische Arbeit eine politische Dimension besitzt, so gerade in Gestalt jenes „Scarred for Life“, jenes Stachels, den die alltägliche Brutalität ins Fleisch setzt.

Die bis dato komplexeste Arbeit Tracey Moffats, hybrid in ihrer Ästhetik, ambitioniert bis zur Didaktik im Einsatz der Metaphern, vor allem und einmal mehr höchst reflektiert in der Triftigkeit der medialen Vorbilder, ist „Something More“ von 1989. Was „Night Cries“, der gleichzeitig entstandene Film, durchaus gattungskonform allem augenblicklichen Verständnis nahezubringen versucht, das ist in dem neunteiligen Foto- Zyklus „Something More“ ins Unklare gebracht, auratisiert, geradezu mythomanisch aufgeladen. Eine junge Frau, Tracey Moffat stellt sie selbst dar, probt den Ausbruch. Sie wünscht sich augenscheinlich „something more“, als eine Existenz in einer Wüstenei mit karger Hütte, wie es das erste Bild der Folge vorführt: Das gesamte Personal ist hier versammelt, die keifenden Kinder, der verliebte Asiate, die seltsame Blondine im Unterrock und der dickliche Ältere mit den Aboriginal-Zügen. Es ist eine Dramaturgie nach Art von David Lynch: die am Anfang latent und am Schluß virulent vorhandene Gewalttätigkeit, die in eine klassische Road- Movie-Konstellation einbricht; die gleichsam aufgespaltene Frauenidentität, der Charaktergegensatz von Blondine und Schwarzhaariger – ein Gegensatz, der in allen späteren Lynch-Filmen auftaucht, den Tracey Moffat 1989 aber nur von „Blue Velvet“ her kennen konnte; der Dingfetischismus, der bei „Something More“ ins Beckmesserische geht.

Lamé-Kleid, Messer und Peitsche

Die neun Fotos bilden drei Reihen, und als gelte es, die en détail unklare Handlung durch die Präsentation wieder mit Logik zu umgeben, folgen diese Reihen einer strengen kompositionellen Ordnung: Reihe eins zeigt, fokussiert auf die Körpermitten ihrer Hauptfiguren, jene Reste an Kommunikation, die das Geschehen in Gang setzen; Reihe zwei liefert die Fetische – das Lamé-Kleid, das Messer, die Peitsche; Reihe drei schließlich ist konzentriert auf das Muster aller Fetische, die Schuhe, in denen der Plot paradigmatisch aufscheint – die weggepackten Schuhe signalisieren den Aufbruch, die Lederstiefel die Gewalt, die vom Fuß gefallenen Pumps den Mord. Die Korrespondenz von Fingernagel und Messer oder von Haarzopf und Peitsche bringt zusätzliche Semantik ins Spiel: Bei dieser Inszenierung eines Umschlags von Körperteil in Waffe wirkt „Something More“ etwas aufdringlich; die Arbeit trägt in der bemühten Offensichtlichkeit von Detailarrangements die typischen Züge eines Frühwerks.

„Something More“ kalkuliert en masse mit filmischen Prinzipien. Doch besteht die Arbeit eben aus Fotos, und es zeugt von Tracey Moffats souveränem Umgang mit den Medien, daß sie die Brücke schlägt zwischen kinematografischen und piktoralen Prinzipien. „Something More“ läßt sich entsprechend lesen als Folge von Filmstills; und „Something More“ läßt sich lesen als Fotoroman, als Kleinformat-Kitsch-Geschichte aus den Billigillustrierten.

In einer raffinierten Poetik von Entgegenkommen und Rückzug macht sich Tracey Moffat ihren Reim auf jenen Schlüsseltext von „Visual Pleasure and Narrative Cinema“, in dem Laura Mulvey ihren Geschlechtsgenossinnen in den Siebzigern den Zusammenhang von Vergnügen und Erzählen erläutert hatte. Ohne die Kontinuität einer Geschichte, so Laura Mulvey, habe das – männlich dominierte – Auge Probleme, sich an den dargestellten Figuren zu weiden; außerhalb eines Erzählzusammenhangs ist es schwierig, seinen Voyeurismus zu hätscheln vor einem – meist weiblich definierten – Objekt der Beobachtung. Tracey Moffat nun inszeniert trotzdem Femininität, „Visual Pleasure“ reichlich, und noch dazu eine Weiblichkeit, die sich im Uraltmodell des Opfers, der Mißbrauchten und Geschändeten, darbietet. „Something More“ besitzt dabei einen gar nicht unterschwelligen Subtext, der schon von den Initialen des Titels nahegelegt wird.

Glitterkleid und Goldenes Vließ

Und Tracey Moffat setzt zugleich auf die Narration. Drei der neun Fotos sind schwarzweiß – jene, auf denen die Protagonistin das Lamé- Kleid am Körper trägt. Ein noch viel älteres Modell macht sich damit hier geltend. Das Lamé-Kleid ist selbstverständlich das Goldene Vließ, das, wie bei den antiken Argonauten, zum Aufbruch ruft. Tracey Moffat scheut nicht davor zurück, die Mythografin abzugeben, einen zweiten Subtext einzusetzen, der von gleichsam ewigkeitlichen Konstellationen raunt – einen Subtext, der nach dem Prinzip Mythos funktioniert und also von vornherein erzählerisch arbeitet. Pleasure und Plot taugen hier nicht als die feindlichen Schwestern. Begehren und Evidenz sind generell die Hauptkomponenten des Voyeurismus. Mit den Mitteln der Unschärfe und einer höchst artifiziellen Gewichtung von Redundanz und Informationsüberschuß gelingt es Tracey Moffat gleichzeitig, sexuelle, visuelle, narrative Attraktivität gewissermaßen im Zaum zu halten. Wenn das, was sie macht, mit Feminismus zu tun hat, so läßt er sich greifen in dieser sehr bewußt angetretenen Übernahme von Laura Mulveys Vermächtnis.

„Scarred for Life“ aber hat ein konkretes mediales Vorbild. In der Trias von Titel, Foto und erklärendem Beitext kehrt die typische PR- Strategie der Verbindung von Alltag und Allegorie, von konkreter Situation und ihrer Überhöhung, wieder – mit einer extrem veränderten, aber nicht minder aus der nachvollziehbaren Realität abgeleiteten Botschaft. Die Bilder, sagt Tracey Moffat, seien ihr wichtiger als die Themen. Und den Bildern wiederum wolle sie lieber als Regisseurin, als Arrangeurin begegnen denn als ihre Schöpferin. Darin vielleicht ist das kinematografische Verfahren der Tracey Moffat am meisten bei sich: Die Realitäten gibt es sowieso, und ihnen beikommen zu wollen, ist ein Windmühlenkampf. Den Realitäten aber Visualitäten mitzugeben, das ist die Kunst, die Medien- Kunst der Tracey Moffat.

Die Ausstellung im Württembergischen Kunstverein Stuttgart läuft bis zum 21. Juni, Katalog 48 DM

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