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Menschheit ohne Erdenschwere

■ Die Wiener Moderne prägte den Künstler Wenzel Hablik – sowie eine Alleinbesteigung des Montblanc / In Itzehoe wurde ihm gerade ein Musem gewidmet

„Ohne einen Glaspalast ist das Leben eine Last!“ Mit diesem Spruch behauptet ein Bau seine Stellung in der Architekturgeschichte: Bruno Tauts auf der Kölner Werkbund-Ausstellung 1914 erstelltes Glashaus. Jetzt erschließt wieder ein Rundgang zu den Klängen der neunten Symphonie von Bruckner dieses kleine, aber exquisite Jahrhundertbauwerk. Das ist deshalb so erstaunlich, da der Ausstellungspavillon nur elf Wochen existierte und längst abgerissen ist. Aber 3-D-Fotografie am exakten Modell macht's möglich. Mit einer Dia-Inszenierung, dem Modell, im Maßstab 1 : 40, Computersimulation, Skizzen, Entwürfen und Vergleichsmaterial erinnert die vom Berliner Werkbund-Archiv erstellte Ausstellung Kristallisationen – Splitterungen an ein Gebäude, das bei Architekten Kultstatus genießt.

Doch sicher nicht bei allen, kann doch ein anderer Spruch durchaus noch heute ein Argument im Streit um Hamburgs Bauboom sein: „Das Glas bringt uns die neue Zeit, Backsteinkultur tut uns nur leid!“ – Aber hier soll es gar nicht um die Ausstellung selbst gehen, sondern um ihren Ort: um das Wenzel-Hablik-Museum in Itzehoe.

Die 40 Kilometer von Hamburg entfernte Kreisstadt eröffnete im Juli ein neues Museum, das dem böhmischen Künstler Wenzel Hablik gewidmet ist, der Itzehoe zu seinem Lebensmittelpunkt gemacht hatte. Seit Jahren tauchen immer mal wieder einzelne Architekturzeichnungen Habliks in Ausstellungen zu künstlerischen Utopien des ersten Jahrhundertdrittels auf. Er wird dabei vor allem als Mitglied der Gruppe „Gläserne Kette“ von 1919 präsentiert, doch das übrige Leben und Werk des 1881 im böhmischen Brüx (heute Most, Tschechische Republik) geborenen Universalisten ist kaum bekannt.

In den Jahren 1902 bis 1905 studiert er an der renommierten Kunstgewerbeschule in Wien, mitten in den Jahren des großen Aufbruchs, in denen Wien Zentrum und Zentrallabor der Moderne war. Diese kurzen Wiener Jahre prägen sein Leben. Doch von genauso großer Wichtigkeit sind die Eindrücke, als Hablik 1906 allein den Montblanc besteigt und sich so inmitten der Urnatur befindet, in die er zeichnerisch seine kristallinen Architekturen plaziert, weit früher als alle anderen, bekannteren visionären Architekten. Schon seit 1902 sammelt er Kristalle und befaßt sich mit der erhabenen „Landschaftskrone“ als sozialutopisches Zentrum einer von aller Erdenschwere befreiten Menschheit.

Auf seinem unsteten Wanderleben zwischen Prag und Helgoland findet er 1907 durch Zufall in dem Itzehoer Industriellen Richard Biels einen Förderer und lernt Elisabeth Lindemann kennen, Gründerin und Leiterin der Meldorfer Museumsweberei. Er zieht nach Itzehoe, heiratet zehn Jahre später die Kunstgewerblerin, die ihm Kontakte zum Deutschen Werkbund verschafft, und gründet eine gemeinsame Handweberei, die für die Familie die wirtschaftliche Basis darstellt. Als Kunsthandwerker war der gelernte Tischler stets geschätzt, als utopischer Architekt wurde er wiederentdeckt, er selbst wollte am ehesten Maler sein.

Allerdings sind seine 250 erhaltenen Ölbilder keineswegs alles Meisterwerke. Die extreme Farbigkeit, mit der er im futuristischen Design an Wänden und auf Tellern überraschte, wirkt beispielsweise in den kosmischen Sternenbildern nur naiv bunt und plakativ. Aus heutiger Sicht kam der deutsche Expressionismus der Grenze zum romantischen, hohlen Pathos doch gelegentlich recht nah. Habliks Landschaftsmalerei ist an van Gogh und Munch geschult. So erinnert er sich in violetten Schattierungen an die Gebirgszüge des Zlatnik in seiner Heimat oder läßt im Gewitter an der Stör von 1910 die Wolkenberge brodeln und mystisches Licht hervorbrechen. Hier spiegelt sich das „Experiment Weltuntergang“ in der Natur.

Bilder wie Zerstörung von 1917 wurden häufig auf den Ersten Weltkrieg bezogen, stehen aber viel eher dem Gedanken nahe, daß eine neue, bessere Gesellschaft erst aus der blutigen Destruktion der alten Ordnung wachsen kann. Wohin das führen mag, wird es ins Politische gewendet, hat Hablik gerade noch erlebt: Er starb 1934.

Als deutlichster Beweis seines Strebens nach dem Gesamtkunstwerk blieb sein durchgestaltetes Wohnhaus. Es ist bis heute im Besitz der Familie, zwar nicht zugänglich, aber unter Denkmalschutz. 1985 haben die Erben eine Stiftung ins Leben gerufen, zehn Jahre danach hat sie nun seit Juli in Itzehoe ein eigenes Haus voller Bilder, Objekte, Möbel und Kristallen erhalten. Hajo Schiff

Wentzel-Hablik-Museum, Reichenstr.21, Itzehoe, Di-Sa 14-18 Uhr, So + Feiertage 11-18 Uhr. Sonderaustellung Bruno Taut bis 27. August. Schön gestalteter Katalog: „Kristallisationen, Splitterungen – Bruno Tauts Glashaus“, 184 Seiten, hrsg. vom Werkbund-Archiv im Birkhäuser-Verlag, in der Ausstellung 36 Mark.

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