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Heißer Dampf und kalte Luft

■ Streifzug durch den Keller des Hamburger Rathauses: Offenbart sich hier der kulturelle Geist der Stadt? Gibt es überhaupt etwas zu sehen? / Eine Bagatelle

Niedrige, hellgetünchte Räume und Gänge mit einer Unzahl von Rohren unter der Decke. Der Reporter denkt: Genau so sieht ein Keller eben aus, und so hat er auch auszusehen. Aber fast zeitgleich auf den ersten Gedanken folgt ein zweiter: Muß denn auch der Keller des Rathauses so aussehen? So schlicht. So funktional. So ganz und gar unspektakulär. Und für einen Moment packt den Reporter eine heitere Wut. Diese Hanseaten! Protzen diesen Palast von Rathaus ins Zentrum der Stadt, mit einer Fassade, die die Baumeister des Mittelalters beschämen möchte, mit mehr Räumen, als der Buckingham Palace sie hat, mit allerlei Tand und Giebelchen und überlebensgroßen Figuren und nicht zuletzt mit einem gewaltigen Turm, der weithin vom Reichtum der Stadt kündet. Und am Keller, den man nicht sieht und mit dem man schwerlich repräsentieren kann, daran sparen sie, soviel sie können. Eben doch Pfeffersäcke!

Aber was hat der Reporter denn auch erwartet? Eine Reportage über den Keller des Hamburger Rathauses hat er sich zu schreiben vorgenommen, und das hieß doch von vornherein, sich auf die Spur des Unspektakulären zu begeben. Das Rathaus ist eben ein verhältnismäßig neues Gebäude. Noch keine hundert Jahre sind seit seiner Fertigstellung ins Land gegangen, im Jahr 1997 erst darf sein erster dreistelliger Geburtstag begangen werden. Und am Ende des vergangenen Jahrhunderts brauchte man eben keine Verliese und keine Schatzkammern mehr. Da galt es, ökonomisch vorzugehen, auch und gerade im verschwenderischen Repräsentieren: klotzen da, wo es Sinn macht, sparen dort, wo man kann.

Trotzdem, der Reporter fühlt sich in einen Journalistenschüler hineinversetzt, der bei der Vergabe der Themen für die große Abschlußreportage die Niete gezogen hat: Einfach nichts los hier. Allerdings fühlt er sich auch, um die Wahrheit zu sagen, ein bißchen wie bei Schulfrei. Hier, an diesem Ort, in diesen niedrigen, verwinkelten Gängen, schrecken keine Fallstricke hanseatischer Kulturpolitik. Hier kann man die Sätze baumeln lassen, mal sehen, wohin das führt. Nur will sich das abenteuerliche Gefühl, das der Reporter dann doch erwartet hatte, als er von der prächtigen Rathausdiele aus in die Katakomben hinabstieg, nicht recht einstellen.

Herrn Uwe Christensen ist da allerdings kein Vorwurf zu machen. Uwe Christensen ist der Rathausdirektor, was wir uns gerade mit einer Art Superhausmeister übersetzen wollen, als Uwe Christensen auf unsere Frage, wieviel Quadratmeter denn das Rathaus habe, nur mit einem Kopfschütteln antwortet. Das wisse er nicht. Und wieviel Räume? Auch da Kopfschütteln. In der Broschüre stehe etwas von 646 Zimmern. Er wisse das aber nicht genau. Wir könnten ja nachzählen. Wie sympathisch. Wir lassen das Nachzählen und bleiben bei Rathausdirektor. Ein guter deutscher Hausmeister wüßte sicherlich damit anzugeben, für wieviel Zimmer er verantwortlich ist. Daß die Rathausverwaltung, der er seit 25 Jahren vorsteht, etwa 50 Angestellte hat, gibt Uwe Christensen allerdings doch preis.

Uwe Christensen führt uns durch die Räumlichkeiten. Durch einen Vorraum mit allerlei Handwerksgeräten, um die Ecke durch einen langen Gang, wieder um die Ecke durch einen noch längeren Gang, ein drittes Mal um die Ecke – und jetzt ist der Gang, der sich vor uns erstreckt, wirklich lang. 111 Meter lang ist er. Er verläuft genau unterhalb der Frontfassade des Rathauses, die ganze, imponierende Länge des Gebäudes entlang. Durch schmale Schächte in den massiven Mauern, die schräg nach oben führen, kämpft sich eine Andeutung von Tageslicht hinein.

111 Meter im Schlenderschritt hin, Rohre versperren das Weitergehen, also 111 Meter im Schlenderschritt wieder zurück. Zeit für Erläuterungen. Uwe Christensen erzählt, daß das Rathaus auf 4000 Eichenpfählen ruhe. Es stehe ja auf morastigem Alstergrund. In den wurden die Pfähle gerammt, auf die wiederum eine riesige, eineinhalb Meter dicke Betondecke gelegt. Die trage das Gebäude. Bis heute stünden die Pfähle unter Wasser, was auch gut so sei. Ginge das Wasser zurück und käme Luft an das Holz, es würde verrotten. So können denn winzige Fäulnisbakterien den ganzen Stolz des Hamburger Senats zum Versinken bringen, denken wir kurz. Doch Uwe Christensen läßt diese anarchistische Idee sofort zerplatzen: Der Wasserstand werde regelmäßig kontrolliert, es gebe keinerlei Anlaß zur Besorgnis.

Nicht, daß Uwe Christensen durch Tonfall oder Gestik den Eindruck erweckte, er unterbreite Sensationelles. Das liegt dem durch und durch norddeutsch-zurückhaltenden Rathausdirektor fern. Er erläutert bloß das, was man sieht. Und über die Belüftung, deren Rohre sich beispielsweise gerade über uns neben den Heizungsrohren erstrecken, lassen sich schon ein paar Sätze verlieren. Schließlich funktioniert die Belüftung fast so wie eine Klimaanlage, und das jetzt schon seit hundert Jahren.

„Die Altvorderen haben eben an alles gedacht“, sagt Uwe Christensen. In dem Brunnen im Innenhof zwischen Rathaus und Handelskammer haben sie ein großes Lüftungsrohr installiert. Durch das wird Luft angesogen. Durch das Brunnenwasser wird die Luft gekühlt, und die Rohre, die wir sehen, verteilen die Luft im Gebäude. Immerhin um drei Grad lassen sich die Räume so herunterkühlen. Worauf Herr Christensen eine Tür öffnet, und wie auf Bestellung wird es im Gegensatz zu dem, was er eben sagte, heiß und schwül. Aha. Die Altvorderen haben nicht nur die Kühlung der Räume bedacht, auch die Notwendigkeit, sie dann und wann zu heizen, ist ihnen nicht entgangen. Heißer Dampf, produziert im Kraftwerk Hafen, strömt hinter der Tür in die Rohrsysteme. Mit diesem Dampf werden die Räume erwärmt. Das System funktioniert heute noch im Prinzip so wie vor hundert Jahren.

Eine frühe Fernwärmeheizung, Ende des 18. Jahrhunderts das Modernste vom Modernsten. Wir staunen, denn zur verschnörkelten Fassade des Rathauses will uns das nicht recht passen. Welcher technische Neuerungsgeist mußte sich hier hinter einem solchen traditionalistischen Ästhetikbegriff verbergen! Und noch etwas erzählt Herr Christensen. Der 110 Meter hohe Turm des Rathauses ist nämlich nicht einfach nur Turm. Zugleich wird hier der heiße Dampf, wenn er die Rohre durchströmt hat, wieder herausgeführt. Kurz: Ein Schornstein ist der Turm, nichts weiter. Ob man nun die Baukunst des Rathauses bewundert oder nicht, die Zierde des Turms war noch nicht einmal gedacht als Schönheit um der Schönheit willen. Schönheit allein reichte den Hamburgern eben nicht. Es mußte stets auch funktional sein.

Dann führt uns Uwe Christensen noch durch zwei wirkliche Attraktionen, den Weinkeller und einen Lagerraum, Schreckenskammer genannt, in dem Gipsmodelle für die Figuren an der Fassade abgestellt wurden. Sehr schön (siehe Foto oben), wir aber denken an Brecht und seine Zeilen von dem Wind, der bleiben wird, während das, wodurch er hindurchging, die Stadt, längst in Trümmern liegt. Auch beim Hamburger Rathaus, so denken wir, erweist sich als die Seele des Gebäudes das, was durch es hindurchströmt: heißer Dampf und kalte Luft. Denn im Keller erweist es sich: Die Schönheit ist bloß Fassade. Dahinter weht der rauhe Wind technisch effizienter Lösungen und der Zweckmäßigkeit. Ob sich hierin nicht ein ganz klein wenig der kulturelle Geist dieser Stadt offenbart?

Unser Spaziergang durch die Katakomben des Rathauses ist zu Ende. Durch eine kleine Tür treten wir ins Freie. Wir sind im Ehrenhof zwischen Rathaus und Handelskammer, und da ist sie wieder, diese auf alt-ehrwürdig getrimmte Pracht der Erker, Figuren und Giebel. In der Mitte des Hofes steht der Brunnen. Eine Dame sitzt davor und hält Details in einem Skizzenblock fest. So eine aufwendig gestaltete Klimaanlage hat sie bisher bestimmt noch nicht porträtiert.

Dirk Knipphals

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