Die Zukunft aufgeschoben

■ Doch noch vor dem neuen Jahrtausend: Die Smashing Pumpkins rockten einen glücklichen Spielbudenplatz

igentlich müßte ein Mann wie Bundesforschungsminister Dr. Jürgen Rüttgers Gefallen an den Smashing Pumpkins finden. Die sind nämlich auf der Suche nach der „Musik der Zukunft“. Dieses optimistische Statement verkündete jedenfalls Billy Corgan, Popvisionär und Bestimmer der Band, vollmundig auf der vorgestrigen Pressekonferenz zum neuen Album Adore.

Ab dem 2. Juni werden sie weltweit zu hören sein, die Entwürfe zu den Popsongs für das nächste Jahrtausend, und Corgan ließ keinen Zweifel zu, daß er und seine platzenden Kürbisse maßgeblich an ihnen beteiligt sein werden. Denn, so ließ der hünenhafte Glatzkopf wissen: Rock sei zwar nicht tot, aber „so langweilig und die Grenzen längst ausgelotet“.

Aber Corgan stand der Sinn nach mehr, als nur einer kleinen Schar von Medienleuten die Zukunft zu erklären. Und so wurde aus einer standardisierten Promo-Tournee in zu engen Clubs ein ausgetüfteltes Stelldichein in massenkompatiblen Konzertlocations quer durch Europa. Dabei werden die Smashing Pumpkins den Tivoli Garten in Kopenhagen genauso rocken wie den Hafen zu Genua und den Sportpalast in Paris.

In Hamburg ließen sie 20.000 Fans direkt zum Kiez pilgern und verwandelte so den Spielbudenplatz in ein jugendliches Volksfest, bei dem alle in eine Richtung gucken. Das Konzert war gratis, alles kam „live und umsonst“. Litfaßsäulen wurden zu Klettergerüsten, Häuserdächer zu Liegewiesen. Die Reeperbahn selbst wurde, obwohl offiziell nicht gesperrt, ab 19 Uhr kurzerhand zur Fußgängerzone erklärt. Überall zauberten milde Windböen schlendernden Fans ein leichtes Lächeln ins Gesicht. Wein aus der Flasche, Alsterwasser in Dosen, so schmeckte der Frühling. Daß die meisten die Band überhaupt nicht sehen konnten und statt dessen von den Massen sanft von A nach B geschoben wurden, war ein Sich-Treiben-Lassen im angenehmen Sinne.

Und die Utopie? Die dauerte gute 45 Minuten, so lange spielten die Pumpkins ihre neuen Songs. Ruhige, größtenteils larmoyante Poplieder, die im Unterschied zum Album live mit echten Drums gespielt wurden. Erst dann gab's die Klassiker, die die Band aus Chicago zu den Alternative-Megastars der 90er gemacht hatten. Corgan quäkte wie eh und je, alles im Zeichen von gediegenen Abschiedsszenarien und „having a good time“-Träumereien. Das mit der Zukunftsmusik wurde angesichts solch verhaltener Schrammelei bei Sonnenuntergang einmal mehr vertagt und vom Konzert zurück in die vier Wände der Fans verlegt. Am zweiten Juni wissen wir dann mehr. Oliver Rohlf